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O+P Fluidtechnik 1-2/2016

O+P Fluidtechnik 1-2/2016

ANTRIEBE FORSCHUNG UND

ANTRIEBE FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG PEER REVIEWED AUSFAHREN 07 Topologie der Lösung für eine möglichst lange Betriebszeit (Zielstellung (i)) (25) In einem zweiten Modell soll mit der zweiten Zielstellung das System gefunden werden, das den Materialeinsatz minimiert, der zum Betrieb des Getriebes nötig ist. Dies erfordert weitere ganzzahlige Entscheidungsvariablen b Ventil , die für jedes Regelventil angeben, wie oft dieses während des betrachteten Zeitraums aufgrund von zu starkem Verschleiß ausgetauscht werden muss. Wird ein Ventil beispielsweise zu Beginn gekauft und innerhalb des Betrachtungshorizonts dreimal ausgetauscht, ergibt sich b Ventil = 4. Wann ein Regelventil ausgetauscht werden muss, wird dabei durch eine wählbare Verschleißgrenze, in diesem Beispiel durch einen maximalen Materialabtrag Δu max , festgelegt. Die folgende Nebenbedingung, die für jedes zur Auswahl stehende Regelventil jeweils einmal im Modell enthalten ist, stellt sicher, dass mindestens so viele Proportionalventile während des Betrachtungszeitraums gekauft werden, wie innerhalb diesem verschlissen werden: (26) Die Zielfunktion des Modells ist für die Zielstellung „minimaler Materialeinsatz“ gegeben durch EINFAHREN d. h. die Summe aus gekauften Regel- und Schaltventilen wird minimiert. DER WEG ZUM GLOBALEN OPTIMIUM Nachdem das Optimierungsmodell als MILP aufgestellt wurde, kann nun in Schritt 4 der TOR-Pyramide (vgl. Bild 01) die optimale Systemstruktur gefunden werden. Alle Entscheidungsvariablen im MILP werden vom Optimierer so gesetzt, dass einerseits alle gestellten Nebenbedingungen erfüllt werden können, andererseits der Wert der Zielfunktion minimiert wird. Die Struktur des vorliegenden Optimierungsproblems kann dabei als Entscheidungsbaum (Bild 06a) dargestellt werden. Jede diskrete Entscheidung für oder gegen den Einsatz eines Ventils oder für oder gegen eine Schaltungsvariante führt in einen neuen Ast des Entscheidungsbaums. Jeder Ast führt auf der unteren Ebene des Baums zu einer Variablenbelegung, welche hinsichtlich der Zielfunktion gut oder schlecht sein kann. Kann infolge einer diskreten Entscheidung die Funktion nicht mehr erfüllt werden, so existiert im gesamten folgenden Ast kein zulässiges System mehr. Die beste bisher gefundene Optimallösung für eine Belegung der Entscheidungsvariablen ist eine sogenannte „Primallösung“ des Optimierungsproblems. Die spezielle Formulierung des Optimierungsproblems generiert auf dem Weg durch den Lösungsbaum eine weitere Information, welche angibt, wie gut die beste Lösung höchstens sein kann. Diese „duale Schranke“ sagt: „Besser geht’s nicht!“ [Pel13]. Treffen sich Primallösung und duale Schranke, so ist eine Lösung gefunden, die nicht mehr verbessert werden kann, auch wenn bisher noch nicht der gesamte Entscheidungsbaum erforscht ist (Bild 06a). Damit liefert die diskrete Optimierung mittels TOR immer ein globales Optimum im Gegensatz zu anderen Optimierungsstrategien wie genetischen Algorithmen oder vielen nichtlinearen Optimierungsverfahren. Die Güte eines Systems 120 O+P – Ölhydraulik und Pneumatik 1-2/2016

ANTRIEBE kann quantifiziert werden, was eine wesentliche Richtschnur im Systementstehungsprozess bedeutet. ALGORITHMISCH GEFUNDENE STRUKTUREN FÜR ZIEL (I), (II) Obwohl das Spielfeld mit einer recht geringen Anzahl an Ventilen gefüllt ist, gibt es bereits über zwanzig Kombinationsmöglichkeiten, die eine Funktionserfüllung des hydrostatischen Getriebes gewährleisten. Hierbei kann die Schaltung der Ventile zusätzlich noch variieren. Die Auswahl der optimalen Topologie ist nicht mehr intuitiv bestimmbar und der menschliche Experte wird überfordert sein, in endlicher Zeit eine globaloptimale Struktur zu finden. Die durch die algorithmische Systemsynthese mit TOR gefundene Optimal lösung für die Zielstellung „maximale ununterbrochene Betriebszeit“ ist zudem alles andere als vorhersehbar (Bild 07). Alle vier zur Verfügung stehenden Proportionalventile wurden gewählt, sowie drei der im Baukasten verfügbaren Schaltventile. Reflektiert man diese Auswahl, so erkennt man, dass TOR die Belastung möglichst gleichmäßig auf alle Ventile verteilt, sodass die Laufzeit bis zum ersten verschleißbedingten Ausfall maximal wird. Im Vergleich zu einer üblichen Schaltung mit einem 4/3-Proportionalventil wird die Systemlebensdauer mit der Schaltung aus Bild 07 um den Faktor 16 erhöht! Für Zielstellung (ii) (geringster Materialeinsatz) entsteht unter Berücksichtigung eines erweiterten Spielfelds mit Proportionalventilen unterschiedlicher Größen eine Topologie, welche zwei Proportional- und zwei Schaltventile verwendet (Bild 08). Diese werden so eingesetzt, dass in jedem Lastfall tankseitig die Drosselung erfolgt. Die Proportionalventile werden über die Lebensdauer jeweils drei bzw. vier Mal ausgetauscht. Inklusive einmaligen Ankaufs von Proportionalund Schaltventilen zu Beginn werden also insgesamt nur 11 Ventile benötigt. Zum Vergleich müsste ein 4/3-Proportionalventil 34 Mal ausgetauscht werden. Die häufigen Ventilwechsel sind auf den Verschmutzungsgrad des Öls zurückzuführen. Die Reinheitsklasse des im Beispiel verwendeten Öls entspricht in etwa 14/12/8. AUSFAHREN EINFAHREN 08 Topologie des durch den Algorithmus auf minimalen Materialeinsatz optimierten hydrostatischen Getriebes (Zielstellung (ii)) FAZIT Technische Systeme entstehen im Spannungsfeld von Verfügbarkeit und Nachhaltigkeit. Bei Lebensdaueroptimierungen werden meist nur einzelne Komponenten vordefinierter Systeme untersucht. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass eine Änderung der Systemtopologie die Verfügbarkeit des Systems erhöhen kann. Die Methoden des Technical Operations Research (TOR) erlauben den Vergleich einer Obermenge technischer Systeme und schließen somit die Bewertung verschiedener Topologien hinsichtlich der Zielfunktion ein. Sind die Funktion und das Ziel, in diesem Fall entweder eine maximale Lebensdauer oder minimaler Materialeinsatz während der Einsatzzeit, bekannt, ist TOR in der Lage aus einem gegebenen Spielfeld die beste Systemtopologie auszuwählen. Basierend auf einer analytischen Beschreibung von Betriebsverhalten und Verschleißprozessen können algorithmisch verschiedene Topologien hinsichtlich ihrer Lebensdauer bewertet und das geeignete System automatisiert strukturiert werden. Im Vergleich zu einem Getriebe mit einem 4/3-Proportionalventil, hat ein mit TOR geplantes System eine 16-fach höhere Lebensdauer. Sollen möglichst wenige Komponenten über die Laufzeit hinweg aufgrund von Verschleiß ausgetauscht werden, schafft TOR eine Systemstruktur, die mit 11 Ersatzventilen auskommt. Ein einzelnes 4/3-Proportionalventil müsste hingegen 34 Mal ausgetauscht werden. Das vorgestellte Beispiel bietet die Grundlage um die TOR Methodik zur Auslegung von allgemeinen hydraulischen Systemen zu nutzen. DANKSAGUNG Die Autoren danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG für die Finanzierung dieser Forschung im Sonderforschungsbereich (SFB) 805 “Beherrschung von Unsicherheit in lasttragenden Systemen des Maschinenbaus”. Literaturhinweise: [Doe14] B. Dörig, T. Ederer, P. Hedrich, U. Lorenz, P. Pelz, P. Pöttgen, “Technical Operations Research (TOR) exemplified by a Hydrostatic Power Transmission System”, IFK 2014, Aachen, Germany, 2014. [Hau77] P. Haupt, „Viskoelastizität und Plastizität“, Springer Verlag, 1977. [Min45] M. Miner, et. al., „Cumulativ Damage in Fatigue“, Journal of Applied Mechanics, vol. 12, S. 159-164, 1945. [Pal24] A. Palmgren, „Die Lebensdauer von Kugellagern,“ Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure, Ausgabe 68, S. 339-341, 1924. [Pel01] P. Pelz, „Rheologie der Kautschukmischungen“, In „Elastomer Werkstoffe“, 2001. [Pel13] P. Pelz, U. Lorenz, „Besser geht’s nicht! TOR plant das energetisch optimale Fluidsystem“, delta p, Ausgabe 3, ErP Spezial, 2013. [Pfe14] T. Pfeifer, et al., „Masing Handbuch Qualitätsmanagement“, 6. Auflage, Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, 2014. [Pöt15] P. Pöttgen, T. Ederer, L.C. Altherr, U. Lorenz, P. F. Pelz, „Examination and Optimization of a Heating Circuit for Energy-Efficient Buildings”, Energy Technology , Wiley-VCH Verlag, 2015 [Scu14] J. Schumacher, „Alterungs- und Verschleißverhalten von Druckübertragungsmedien und hydraulischen Ventilen“, Reihe Fluidtechnik, Band 74, Sharker Verlag, Aachen, 2014. [Scä15] C. Schänzle ; L. C. Altherr, T. Ederer, U. Lorenz, P.F. Pelz: “As Good As It Can Be – Ventilation System Design By A Combined Scaling And Discrete Optimization Method”, Proceedings of FAN 2015, Lyon (France), 2015. [Spu92] J. H. Spurk, „Dimensionsanalyse in der Strömungslehre“, Springer Verlag, 1992 [Suh05] L. Suhl, „Optimierungssysteme: Modelle, Verfahren, Software, Anwendungen“, Springer Verlag, 2005. O+P – Ölhydraulik und Pneumatik 1-2/2016 121

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