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O+P Fluidtechnik 3/2016

O+P Fluidtechnik 3/2016

WAS BEDEUTET I4.0 FÜR

WAS BEDEUTET I4.0 FÜR DIE BRANCHE FLUIDTECHNIK? Werden sich mit den neuen technischen Möglichkeiten ergeben, Inbetriebnahmen weitgehend bedienerunabhängig automati sieren lassen? Wenn schon alle Informationen elektronisch verfügbar sind, müssten sich die Antriebe doch selbst einstellen können? Umrüstzeiten auf ein anderes Produkt und Maschinenproduktivität sind bisher nicht bedienerunabhängig. Gibt es erfolgversprechende Entwicklungsarbeiten auf diesem Gebiet? Dr. S. Haack: Unsere klassischen Hydrauliker sind heute durch die mechatronischen Systeme mit einer gewaltigen Herausforderung draußen im Feld konfrontiert – allein schon bei der Inbetriebnahme eines drehzahlgeregelten Antriebs. Ich hatte vorhin bereits gesagt, dass die Inbetriebnahme-Software bei Bosch Rexroth für alle Antriebe gleich ist, unabhängig davon, ob es elektromechanische ober drehzahlvariable elektrohydraulische Antriebe sind. Wer aber selbst einmal ein solches System in Betrieb genommen hat, der weiß, dass rund 1 500 Parameter einstellbar sind. Das ist nicht trivial, vor allem nicht für unsere Hydraulikfachleute. Das heißt also, wir müssen das stark vereinfachen. Das kann man machen durch Autotuning – oder durch Inbetriebnahme-Wizzards – also sozusagen über eine Oberfläche, die mir von den 1 500 möglichen Parametern nur noch die 50 wichtigen zeigt, damit sich der Antrieb zunächst überhaupt bewegt. Das oft schon vorhandene „elektronische Typenschild“ zielt in die gleiche Richtung. Um eine automatisierte Inbetriebsetzung und bedienerunabhängige Optimierung zu erreichen, benötigen wir unbedingt lokale Intelligenz und Zustandswissen in den Komponenten. Wir arbeiten in diese Richtung, um nicht immer zwei Mitarbeiter mit der Inbetriebnahme beschäftigen zu müssen. Dr. P. Saffe: Bei Aventics arbeiten wir ebenfalls an neuen Systemen, die bei der Inbetriebnahme unterstützen. Wir werden in Kürze mit einem System auf den Markt kommen, bei dem man während der Inbetriebnahme einer pneumatischen Anlage mit seinem Handy eine App aufrufen kann, die den Bediener anleitet. Das System ist interaktiv und greift auf Sensorik im pneumatischen System zu, wertet sie aus und sagt dem Bediener genau, was zu tun ist, an welcher Schraube er in welche Richtung drehen muss. Wir stellen immer wieder fest, dass bei Inbetriebnahmen pneumatischer Anlagen die notwendigen Kenntnisse und Informationen oft nicht vollumfänglich den Anforderungen entsprechen. Eine App auf dem Handy mit intuitiv verständlichen Handlungsanleitungen kann hier helfen. Digitale Technologien können das vorhandene Know-how von Mitarbeitern erweitern und sie dazu befähigen, anspruchsvollere Aufgaben auszuüben. SPECIAL / INDUSTRIE 4.0 Lassen sie uns noch die peripheren Komponenten der Fluidtechnik, wie Filter, Speicher, Tank, mit in die Diskussion über Weiterentwicklungen einbe ziehen. Was bedeutet I4.0 für diese Geräte? Dr. M. Barth: I4.0 rückt die Themen Ferndiagnose, Condition Monitoring und prädiktive Instandhaltung wieder verstärkt in den Vordergrund. Wir bei Hydac beschäftigen uns hier mit neuen Condition-Monitoring- (CM-) und Servicekonzepten. Als Datenbasis für das CM fluidtechnischer Systeme sind neben den üblicherweise gemessenen Betriebsdaten, wie Druck oder Temperatur, die Messergebnisse spezieller CM-Sensoren von Interesse. So überwachen etwa „bladder integrity sensoren“, ob die Blase im Blasenspeicher intakt ist, Differenzdrucksensoren ermitteln den Verschmutzungsgrad von Filtern und Metallpartikelsensoren dienen der frühzeitigen Schadenserkennung, z. B. an Getrieben oder Pumpen. Auch ein „elektronisches Typenschild“ oder ein „elektronisches Produktgedächtnis“ kann für Komponenten wie Filtern oder Speichern interessant sein. Man könnte sich z. B. bei Serviceeinsätzen vor Ort mit mobilen Endgeräten und zugehörigen APPs produktbezogene Informationen, wie technische Daten und Zulassungen, oder auch Informationen zu früheren Serviceeinsätzen anzeigen lassen. Ein elektronisches Produktgedächtnis gestattet zudem die Datenablage zum aktuellen Serviceeinsatz mittels des mobilen

109. O+P-GESPRÄCHE Endgerätes, das die entsprechenden Servicedaten gleichzeitig aber auch an einen Server übermitteln könnte, auf dem dann z. B. die Gesamtübersicht und Planung des Service realisiert werden kann. Wo es gelingt, mit I4.0 einen ausreichend hohen zusätzlichen Kundennutzen zu generieren, wird die Ausstattung fluidtechnischer Komponenten und Systeme mit CM-Sensorik ansteigen und Komponenten werden gegebenenfalls mit einem elektronischen Typenschild oder einem Produktgedächtnis ausgestattet. R. C. Krähling: Wir haben unter anderem das Konzept einer „Smart-Filtration“ erarbeitet. Ein Filter im Nebenstrom wird über eine Regelung zu- oder abgeschaltet, abhängig von dem geforderten Reinheitsgrad des Systems. Das verbessert die Energieeffizienz und schont die Anlage. Zukünftig könnte es Filtersysteme geben, die lokal Regelaufgaben verfolgen und zusätzlich Wartungsinformationen an eine Servicestation übermitteln, beispielsweise den Hinweis auf einen notwendigen Filterwechsel oder eine Veränderung der Ölqualität. Ein typisches Anwendungsbeispiel sind Windenergieanlagen, in deren Nähe meist keine Servicestation liegt und daher die Anreisekosten oft höher sind als die Wartungskosten selbst. In solchen Anwendungen ermöglichen Predictive-Maintenance-Konzepte auf Basis von I4.0 Voraussagen über zu erwartende Ausfälle und machen damit den Service planbar. Dr. S. Haack: Auf der Hannover-Messe 2015 hat Bosch Rexroth erstmals eine neue, kompakte Baureihe von Hydraulikaggregaten vorgestellt, die über ein integriertes Predictive-Maintenance-System verfügen. Dazu wurden einige Sensoren eingebaut, u. a. für Drücke und Verschmutzung. Natürlich nutzen wir auch „virtuelle“ Sensoren durch entsprechende Berechnungsverfahren. Die Aufgabe besteht nicht nur darin, kontinuierlich Daten zu erfassen und zu speichern, sondern es geht darum, wirkliche Lebensdauer-Voraussagen zu machen: Wann wird welches Teil ausfallen? Die Information muss Wochen oder zumindest einige Tage im Voraus kommen und nicht erst, wenn das Teil ausgefallen ist. Predictive Maintenance ist ein großes Feld für die Fluidtechnik, in dem wir uns nicht alleine mit dem Fluid, sondern auch mit der Mechanik beschäftigen müssen. Wir müssen Antworten finden auf Fragen wie: Fällt die Pumpe aus und wenn ja, wann? Muss ich die Speicherblase nachfüllen und wenn ja, wann? Wann ist ein Filterelement- oder Ölwechsel notwendig? Ich bin überzeugt, das ist ein Fachgebiet, dessen Ergebnisse dem Kunden wirklich helfen, insbesondere bei laufenden Wertströmen: in der Stahlindustrie, bei Windenergieanlagen oder auch in Zuckerfabriken. Aktuell überwachen wir für eine Handvoll Kunden deren Anlagen in Echtzeit. Wir wissen auch, welche Datenmengen da über das Internet kommen und bauen aktuell auch unsere IT-Systeme dafür aus. In 2016 werden wir 100 Kundenanlagen an unsere online-Diagnose anschließen. P. M. Synek: Predictive Maintenance ist ein wichtiger Baustein in der Industrie 4.0 Umgebung und wird als neue Instandhaltungsstrategie zunehmend an Bedeutung gewinnen. Mögliche Störungen, Fehler und drohende Ausfälle können vorhergesagt und somit vermieden werden. Ungeplante Maschinenstillstände und Produktionsausfälle lassen sich vermeiden. Ferner sind die Steigerung der Produktivität, die Erhöhung der Verfügbarkeit und die Zuverlässigkeit der Maschine für sich sprechende positive Argumente. Auch kann das Vorhalten und die Einlagerung von Ersatzteilen reduziert werden. Predictive Maintenance leistet als strategisches Instandhaltungstool einen Beitrag sowohl zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit als auch zur Reduzierung der TCO. Der VDMA hat schon in den Jahren 2005, 2007 und 2009 auf der Hannover Messe mit sehr beachteten Sonderveranstaltungen zum Thema Condition-Monitoring-Systeme die zunehmende Bedeutung moderner Instandhaltungsstrategien erfolgreich in Szene gesetzt. In Exponaten wurden technische Lösungen, aber auch neue Konzepte gezeigt. Der Nutzen solcher Systeme gerade für Betreiber von Maschinen und Anlagen bezüglich Produktivität, Zuverlässigkeit und Sicherheit wurde vermittelt.

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