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O+P Fluidtechnik 3/2016

O+P Fluidtechnik 3/2016

Die heutige Situation

Die heutige Situation lässt sich wie folgt beschreiben: Die Kunden wissen um die Vorteile derartiger Überwachungssysteme, zögern aber mit der Investition aufgrund der Kosten. Durch I4.0 kommt das Thema Predictive Maintenance verstärkt in den Fokus. Der VDMA wird daher auf der Hannover Messe 2016 mit Unterstützung der Deutschen Messe und der Industrie das Thema Predictive Maintenance in einer Sonderveranstaltung aufgreifen. In Halle 17 zeigen Firmen in Exponaten ihre Lösungen. Zusätzlich werden im Rahmen des Forums Industrial Automation vertiefende Expertenvorträge über Predictive Maintenance und entsprechende Applikationen gehalten. Der Fachverband Fluidtechnik im VDMA veranstaltet am 23. Februar 2016 einen Kongress „Predictive Maintenance 4.0“ mit den Schwerpunkten Applikationen aus Sicht produzierender Unternehmen, Implementierungen in Geräten und Softwarelösungen. Wir sollten zusammenfassen, was die Fluidtechnik heute auf den Gebieten Predictive Maintenance und Condition Monitoring bereits anbietet und wie das im Rahmen von I4.0 Jahren aussehen mag. Dr. M. Barth: Wie zuvor erwähnt bieten wir bereits ein breites Programm an CM-Sensoren zur Online-Überwachung von Fluidtechnikkomponenten und des Druckmediums: Partikelsensoren, Ölalterungssensorik und natürlich Sensorik zur Messung der Betriebsparameter. Die Bewertung des Maschinen- oder Anlagenzustandes anhand der durch Messen und Berechnen ermittelten Daten erfolgt beim CM heute meist durch Vergleich mit Schwellwerten. Eine gute Interpretation und Bewertung der Daten im CM-Sensor oder-system erfordert zunächst Expertenwissen über die zu überwachenden Komponenten, Systeme und Fluide. Dies fließt soweit möglich in die Entwicklung der CM-Sensoren und -Algorithmen ein. Darüber hinaus kann im Anwendungsfall aber auch Expertenwissen bezüglich der Besonderheiten der speziellen Applikation zur Schwellwerteinstellung und Bewertung erforderlich sein. Dies ist oft nicht in ausreichendem Maße verfügbar. Wir untersuchen derzeit ob und wie CM-Systeme zukünftig gegebenenfalls selbst „Expertenwissen“ zur Zustandsüberwachung und -vorhersage generieren können. Dennoch bleibt immer die Frage nach dem wirtschaftlichen Nutzen und wie man den Kundennutzen monetär greifbar macht. Im Kontext zu Industrie 4.0 geht es auch um die Frage nach neuen Geschäftsmodellen im Bereich CM und Service. R. C. Krähling: Ich pflichte Frau Dr. Barth bei; die Entwicklung der Sensoren ist weit vorangeschritten und es ist möglich, alle relevanten Systemgrößen zu überwachen. Auch bei virtuellen Sensoren haben wir einen guten technischen Stand. Der Kunde ist jedoch zumeist nicht am Messwert selbst, sondern an einer Verlängerung der Standzeit seiner Maschine interessiert. Welchen Einfluss aber die Eigenschaften des Öls – wie z. B. Reinheit, Viskosität, Wassergehalt, Temperatur – oder das Betriebsverhalten auf die Lebensdauer von Komponenten haben, ist zumeist nicht oder nur vage bekannt. Wenn wir auf diesem Gebiet neue Geschäftsmodelle umsetzen wollen, dann muss man dem Kunden die Handhabung vereinfachen, z. B. durch Komplettlösungen, die vom Sensor über die Zustandsauswertung bis zur Anzeige reichen. SPECIAL / INDUSTRIE 4.0 Können Sie uns Anwendungsbeispiele nennen, bei denen sie diese Überwachungsfunktion für Kunden realisieren? R. C. Krähling: Das Fluid in hydraulischen Systemen ist als Informationsträger ein vorzüglicher Indikator für den Zustand einer Maschine oder Anlage: Die Partikelkontamination kann Hinweise auf Schäden an Komponenten liefern, die tribologischen Öleigenschaften lassen Rückschlüsse zu, ob das Öl seine verschleißmindernde Funktionen noch erfüllt und Ansammlungen von Wasser lassen auf defekte Dichtungen oder Leckagen schließen. Die Auswertung der Daten und die Ermittlung der entscheidenden Parameter beruht dabei auf langjähriger Erfahrung. Erfolgreiche Anwendungen findet man in Anlagen, die eine hohe Verfügbarkeit erfordern und bei denen dies nicht einfach durch Redundanz zu erreichen ist. Windenergieanlagen sind hierfür ein gutes Beispiel. Weitere Anwendungen finden sich im Offshore- und maritimen Bereich oder bei großen Pressenstraßen. Prof. P. Post: Ein anderes Beispiel zu Condition Monitoring und dem dazugehörigen weiteren Umfeld ist das Thema der bewussten, gezielten Energiesteuerung in großen Produktionsanlagen, wie wir sie in der E3 Forschungsfabrik in Chemnitz auch finden. Es geht darum, mit Durchflussmessung anlagenspezifisch den Druckluftverbrauch zu ermitteln. Aber es geht nicht nur darum, Fehlerquellen zu orten, sondern in einer intelligenten Art und Weise zu einem ganzheitlichen Energiemanagement großer Produktionsanlagen zu kommen. Alle Energieformen, elektrische, pneumatische und hydraulische Energie, in einem sinnvollen Mix miteinander zu kombinieren. Man kommt so in einem abgeschlossenen Betriebsbereich oder einer Fabrik in die Lage, mit bester Energieeffizienz zu arbeiten. Solche Aufgabenstellungen sind komplex und keineswegs einfach. Daher 32 O+P – Ölhydraulik und Pneumatik 3/2016

109. O+P-GESPRÄCHE haben wir in unserer I4.0-Technologiefabrik in Scharnhausen solche Lösungen konzeptionell realisiert und arbeiten an entsprechenden Strategien. Es wäre schade und unverzeihlich, wenn wir über den Diskussionen um Energieeffizienz und der Strategie I4.0 möglicherweise die enormen technologischen Vorteile vergessen, die wir in der Hydraulik und in der Pneumatik haben: hohe Leistungsdichte, Robustheit, Überlastsicherheit, die aufgelöste Bauweise um nur einige zu nennen. Es ist wichtig, dass wir unseren Kunden zeigen, wie es möglich ist, unsere Anlagen energieeffizient einzusetzen, und zwar in einem ganzheitlichen Kontext. Dann macht das ganze Thema Condition Monitoring einen unwahrscheinlichen Sinn. M. Vukovic: Ein schönes Beispiel, wie weit Condition Monitoring gehen kann, ist das System LifeSense der Firma Eaton für Schlauchleitungen und für Dichtungen. Eaton nennt dies eine intelligente Schlauchleitung. Mit Hilfe von Kapazitätsmessung kann man rückschließen, ob diese Schlauchleitung in naher Zukunft versagen wird. Gleiches gilt im übertragenen Sinne auch für O-Ring-Dichtungen. Das System ist bereits am Markt. G. Schrank: Es gibt unendlich viele Sachen, die technisch möglich sind. Aber wer möchte sie tatsächlich kaufen? Man kann sich heute fast alles vorstellen: Über Leitfähigkeit, Dehnungsmessstreifen, Druck-, Volumenstrom- und Temperatursensoren kann man an Hydraulikkomponenten und -anlagen alles ermitteln. Aber: Wer möchte alle diese Informationen haben? Wem gehören die Daten? Wer hat das Recht, sie zu nutzen, zu veröffentlichen und vielleicht im schlimmsten Falle gerichtsfeste Aussagen herauszuarbeiten? Und deswegen glaube ich, wenn wir heute von Kunden sprechen, müssen wir wirklich sehr stark im Auge behalten, was die gesamte Lieferkette und Kundenkette ist. Was können wir nicht nur wirtschaftlich, sondern vielleicht auch juristisch sinnvoll mit all diesen Daten machen? Prof. P. Post: Das sind einige Gründe, weshalb es eine Arbeitsgruppe zu I4.0 gibt, die sich mit juristischen Situationen befasst, bis hin zu möglicherweise noch offenen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Die Gruppe soll auch Gewährleistungsfragen regeln im Kontext einer verteilten Verantwortung über die Wertschöpfungsketten hinweg, einhergehend mit Fragen wie: Wem gehören Daten? Wer macht welche Informationen aus diesen Daten und welche Verantwortung hat er für die Daten? Das sind Themen, die im Kontext zu Industrie 4.0 diskutiert werden müssen, sie sind heute noch nicht gelöst. Prof. S. Helduser: Condition-Monitoring und Predictive Maintenance haben sich im Laufe unserer Diskussion als zwei Themengebiete erwiesen, die für Hydrauliker und Pneumatiker neben den komplexen mechatronischen Funktionseinheiten einen guten Einstieg in die I4.0-Strukturen bieten können. Allerdings fallen gerade bei diesen Themen umfangreiche Daten (big data) an, die keinesfalls jedermann zugänglich sein sollen. Das Gebiet Daten-Security wird besonders wichtig, wenn man Komponenten, Maschinen oder Fabriken mit dem Internet verbindet. Security charakterisiert den Schutz der materiellen Objekte (z. B. Maschinen, Daten) vor unerwünschtem menschlichen Zugriff. Wie bewerten Sie die Frage der Datensicherheit und wie lassen sich Manipulationen verhindern? Dr. S. Haack: Unsere Praxis sieht heute so aus: Wir haben uns mit den Kunden darauf verständigt, dass wir den Datentransfer nicht über öffentliche Daten-Clouds machen, sondern auf Servern in unserem Haus. Das sind in sich geschlossene Systeme, bei denen Daten nur wie in Einbahnstraßen gespeichert werden. Damit ist für den Anlagenbetreiber gewährleistet, dass keine Schadsoftware über diese Verbindung in sein System eindringt. Wir werten die Daten mit Hilfe von self-learning-Methoden aus und machen dann entsprechende Voraussagen. Der Anlagenbetreiber bekommt täglich auf sein Tablet den Anlagenzustand mitgeteilt. So gut sind unsere Systeme heute bereits. Mit jeder Anlage, die zusätzlich angebunden wird, lernt unser Auswertsystem weiter und wird besser. Diese Lösung bietet vielleicht für Serviceaufgaben einen ausreichenden Datenschutz; er umgeht eine Kommunikation über das Internet. Aber wie erhält man Sicherheit, wenn Kommunikation erforderlich ist? Dr. S. Haack: Sobald zwei Einheiten über das Internet kommunizieren wollen, stellt sich die Frage nach der Security. Allerdings ist für mich momentan ein Schritt vorher noch viel bedeutender und zwar aufgrund der Erfahrungen, die wir vor einigen Jahren mit der Einführung der Feldbusse hatten. Die Feldbusse waren sehr stark von firmenspezifischen Interessen geprägt: Es gab zahlreiche unterschiedliche Lösungen, die untereinander nicht kompatibel waren. Es kamen neue Produkte, die kurzzeitig sehr aktuell waren und dann wieder vom Markt verschwanden. Am Ende eines längeren Prozesses hat der Markt über die entsprechende Anwenderakzeptanz entschieden. Ich sehe die große Gefahr, dass uns jetzt wieder etwas Ähnliches passiert. Ob sich die internationalen Gremien, die sich in Europa, Amerika, O+P – Ölhydraulik und Pneumatik 3/2016 33

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