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O+P Fluidtechnik 5/2016

O+P Fluidtechnik 5/2016

KONSTRUKTION Bild 04

KONSTRUKTION Bild 04 zeigt die Auswirkungen der Autofrettage im Spannungs- Dehnungs-Diagramm für einen ausgewählten, hoch belasteten Materialbereich. Die Betrachtung beruht auf einem Materialmodell mit kinematischer Verfestigung, die typisch für duktile Stähle ist. Hierbei wird durch Plastifizierung des Werkstoffs der Fließbereich nicht vergrößert, sondern lediglich verschoben. Bei Lastumkehr muss also die zweifache Streckgrenze überwunden werden, bevor der Werkstoff erneut fließt. Punkt 1a in Bild 04 beschreibt den Betrieb mit maximaler Last, bei der die Streckgrenze bereits überschritten wird. Durch die Autofrettage des Bauteils zum Punkt 3 und die anschließende Entlastung auf Punkt 4 wird die Belastungslinie von 1a–2a zu 1b–2b verschoben. Die dynamische Belastungsart ändert sich mit steigendem Autofrettagedruck von schwellend im Zugbereich zu wechselnd bis hin zu schwellend im Druckbereich. 3 BEISPIELE Im Folgenden sollen die Effekte der Autofrettage an anschaulichen Beispielen demonstriert werden. Das erste Beispiel ist angelehnt an einen zu optimierenden Hydraulikzylinder und im zweiten Beispiel wird eine klassische Anwendung betrachtet, das Common-Rail. Die Modelle sind zwecks Anschaulichkeit stark vereinfacht. 3.1 BEISPIEL: HYDRAULIKZYLINDER Der in Bild 05 dargestellte Zylinder ist bezüglich seiner Problematik einer Praxisanwendung angelehnt. Bei diesem Zylindergehäuse ist die dünne Wandung zusätzlich durch Gewindebohrungen der Deckelschrauben geschwächt. Da die Geometrie aufgrund des extrem beengten Bauraums bereits festgelegt war, bestand unsere Aufgabe darin, den Zylinder durch festigkeitssteigernde Maßnahmen dauerfest auszulegen. Im Folgenden wird nur ein kleines Segment im kritischen Bereich des Zylindergehäuses betrachtet (rot markiert). Weitere Einflüsse wie der reibungsbehaftete Kontakt zwischen Zylindergehäuse und Zylinderkopf sowie der Einfluss der Schraubenverbindungen werden im Rahmen dieses Artikels bewusst vernachlässigt. Eine linearelastische FE-Analyse mit maximalem Betriebsdruck (300 bar) zeigt die Problematik (siehe Bild 06): Die maximalen Vergleichsspannungen betragen bis zu 710 MPa und in der Praxis führt die Kerbwirkung der Gewinde zu einer zusätzlichen Überhöhung der Spannungsspitzen. Selbst die Schwellfestigkeiten hochfester Vergütungsstähle sind zu gering, um den Zylinder mit ausreichenden Sicherheitsreserven (und unter Berücksichtigung weiteren Einflussfaktoren wie Oberfläche und Größe) dauerfest auszulegen. Somit fiel die Wahl auf eine alternative festigkeitssteigernde Maßnahme – die Autofrettage. 3.1.1 ERGEBNISSE FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG 03 Spannungs-Dehnungs-Diagramm eines duktilen Werkstoffs und Näherung durch das bilineare Materialmodell 04 Autofrettage-Prozess im Spannungs-Dehnungs-Diagramm (vereinfachtes Materialmodell „biline-are kinematische Verfestigung“) In der elasto-plastischen Simulation wird der gleiche Lastverlauf wie auch in der Praxis abgebildet. Dieser besteht aus der Überlastung (in dem Fall durch einen Druck von 400 bar), der Entlastung und der erneuten Belastung mit maximaler Betriebslast (hier: 300 bar). Um die Auswirkungen des Autofrettierens hervorzuheben, wird zunächst der Zustand bei Betriebslast simuliert. Dadurch können die Spannungen und Verformungen bei gleicher Belastung vor und nach der Autofrettage verglichen werden. Als Werkstoff wird ein Baustahl mit einer Zugfestigkeit von 510 MPa und einer Bruchdehnung von 20 % vorgesehen. In Bild 07 sind der simulierte Lastverlauf sowie die Simulationsergebnisse dargestellt; die Vergleichsspannungen, die Gesamtverformung (Überlagerung von elastischen und plastischen Verformungen) sowie die plastischen Dehnungen und die entsprechende plastifizierten Bereiche. Die Legende der Vergleichsspannungen (von-Mises) ist auf die Werkstoff-Streckgrenze von 350 MPa skaliert. BETRIEBSLAST VOR AUTOFRETTAGE Wird der Zylinder ohne vorhergehende Autofrettage mit 300 bar betrieben, zeigt sich das in Bild 07 links oben dargestellte Spannungsbild. Lokal wird die Streckgrenze überschritten und das Material fließt. Bei dynamischer Beanspruchung wird der Werkstoff immer wieder bis an die Streckgrenze belastet. Dadurch entsteht eine erhebliche Gefahr der Rissbildung und Zerstörung des Bauteils. ÜBERLASTUNG / AUTOFRETTAGE Bei der Autofrettage des Hydraulikzylinders mit 400 bar sind die resultierenden Spannungen und die Bereiche plastischer Verformung entsprechend größer als unter Betriebslast. Um den optimalen Autofrettagedruck zu ermitteln, müssen unter anderem die Bereiche plastischer Verformung analysiert werden. Die Fließbereiche sollen verhältnismäßig klein und von elastisch verformtem Material umgeben sein. Umfasst beispielsweise der plastifizierte Bereich lokal die gesamte Wandstärke, dann können die Verformungen nicht durch umgebendes Material ausgeglichen werden. Es bleibt ein plastisch verformter Bereich ohne Druckeigenspannungen. 78 O+P – Ölhydraulik und Pneumatik 5/2016

KONSTRUKTION 05 Exemplarischer vereinfachter Zylinder und betrachtetes Segment (rot markiert) 06 Vergleichsspannungen, linearelastische Analyse bei 300 bar 07 Lastverlauf und Simulationsergebnisse (gleiche Legendenskalierungen) O+P – Ölhydraulik und Pneumatik 5/2016 79

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