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O+P Fluidtechnik 5/2016

O+P Fluidtechnik 5/2016

KONSTRUKTION ENTLASTUNG

KONSTRUKTION ENTLASTUNG Nach der Entlastung zeigt sich der Eigenspannungszustand im Bauteil. Die plastifizierten Bereiche werden durch die elastische Verformung des äußeren Materials komprimiert. Die Folge sind Druckeigenspannungen. Diese werden durch Zugeigenspannungen im umgebenden, äußeren Material kompensiert. Zum Teil können die auftretenden Druckeigenspannungen betragsmäßig größer als die Streckgrenze sein. Da innere Druckspannungen nicht zur Bildung von Rissen und zum Versagen des Bauteils führen, gehen hiervon zunächst keine negativen Einflüsse aus. Wie auch bei Pressverbänden ist das Nebenprodukt der Autofrettage eine Verformung des Bauteils im lastfreien Zustand. Auch wenn die Verformungen im Allgemeinen sehr gering sind, müssen gegebenenfalls Maßkorrekturen vorgenommen werden, um nach der Autofrettage Toleranzanforderungen zu erfüllen. Die notwendigen Korrekturen können mit Hilfe der FE-Simulation prognostiziert werden. BETRIEBSLAST NACH AUTOFRETTAGE Bei erneuter Belastung mit maximaler Betriebslast werden die auftretenden Spannungen in den kritischen Zonen durch die Druckeigenspannungen überlagert. Im gezeigten Beispiel liegen die Spannungsspitzen im gesamten Bauteil deutlich unterhalb der Streckgrenze. Insgesamt wurden durch die Autofrettage die maximalen Vergleichsspannungen von 710 MPa bei linearelastischer Auslegung auf 288 MPa und damit um 60 % reduziert. Eine anschließende Dauerfestigkeitsanalyse bestätigt, dass der Zylinder nach der Autofrettage dauerfest ist. 3.1.2 VALIDIERUNG Bei aller Begeisterung für moderne Simulationstechniken darf der Praxisbezug nicht fehlen. FE-Tools sind mächtig, aber auch gefährlich, denn sie suggerieren vertrauenswürdige Ergebnisse. Die Qualität der Ergebnisse ist jedoch immer nur so hoch, wie die Qualität der Eingangsdaten; alle Randbedingungen und Modelle müssen 10 Vergleichsspannungen einer linearelastischen Analyse des Common-Rails bei 2 000 bar mit Sorgfalt gewählt und überprüft werden. Hier bedarf es eines versierten, erfahrenen Berechnungsingenieurs, der neben seinen Fachkenntnissen auch einen starken Bezug zur Praxis hat. Nötigenfalls müssen die Kompetenzen durch ein entsprechendes Team abgedeckt werden. Je komplexer das Simulationsmodell ist und je mehr vereinfachte Annahmen getroffen werden, desto wichtiger ist eine anschließende Validierung der Ergebnisse. Im beschriebenen Anwendungsfall wurde der Zylinder vor und nach der Autofrettage vermessen und die Daten mit den Verformungen des Simulationsmodells verglichen. Damit konnten die Randbedingungen sowie die Parameter des vereinfachten Materialmodells validiert werden. Zudem konnten anhand der Fließlinien des autofrettierten Bauteils (siehe Bild 08) die Bereiche maximaler plastischer Verformung lokalisiert und so die Simulationsergebnisse auch qualitativ überprüft werden. FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG 08 Fließlinien am autofrettierten Zylindergehäuse 09 Common-Rails und Modell des kritischen Bereichs am Injektor-Anschluss (Quelle: EET Engines) 3.2 BEISPIEL: COMMON-RAIL Im zweiten Beispiel wird ein Teil eines Common-Rail-Systems (Direkteinspritzsystem für Verbrennungsmotoren) betrachtet, dessen Komponenten klassischerweise autofrettiert werden, um Drücken von bis zu 3 000 bar standzuhalten. Das Rail dient als Verteilerrohr für die Injektoren und als Druckspeicher. Einer der kritischen Bereiche sind die Querbohrungen in den Anschlussstutzen der Injektoren (siehe Bild 09). Dieser Bereich wird im Folgenden genauer analysiert. Für die folgenden Untersuchungen wird als Werkstoff der Stahl 20MnCr5 angenommen, dessen Streckgrenze etwa bei 650 MPa liegt. Der maximale Betriebsdruck soll 2 000 bar betragen. In Bild 10 sind die Ergebnisse der linearelastischen Analyse dargestellt. Die höchsten Spannungen konzentrieren sich auf den Bereich am Bohrungsübergang und betragen über 1 000 MPa. Das Problem bei der Gestaltoptimierung derartiger Geometrien ist, dass zur Reduktion der Spannungen die Innenkontur des Bohrungsverschnittes verrundet werden müsste. Dies ist jedoch fertigungstechnisch schwer realisierbar und kostenintensiv. Eine Erhöhung der Wandstärke führt zwar zu einer höheren Rohrsteifigkeit und folglich zu einer Reduktion der Spannungen; um beispielsweise die Spannungen zu halbieren wird jedoch die doppelte Wandstärke benötigt. Dies ist aus technischen und wirtschaftlichen Gründen unerwünscht. Durch die Autofrettage werden die lokalen Spannungsüberhöhungen effizient abgebaut. Wie in Bild 11 dargestellt, führt ein zunehmender Autofrettagedruck zu einer Spannungsreduktion, bis 80 O+P – Ölhydraulik und Pneumatik 5/2016

KONSTRUKTION 11 Ergebnisse der elasto-plastischen Simulation zur Ermittlung des optimalen Autofrettagedrucks (Betriebsspannungen nach Autofrettage und plastische Dehnungen) ein Optimum erreicht ist. Darüber hinaus steigen die Spannungen bei progressiver Zunahme der plastischen Dehnung und der Eindringtiefe des Fließbereiches wieder an. Werden die Betriebsspannungen nach der Autofrettage über dem Autofrettagedruck aufgetragen, ergibt sich eine Becherkurve mit einem Minimum beim optimalen Autofrettagedruck – in Bezug auf eine maximale Spannungsreduktion. Oft fließen noch weitere Faktoren in die Bewertung und Auswahl der optimalen Verfahrensparameter ein: Unter anderem die Ausprägung der Fließzone, Eigenspannungszustände z. B. durch vorherige Prozesse oder auch fertigungstechnische Aspekte wie der verfügbare Maximaldruck der Autofrettageanlage. 4 FAZIT Trotz konstruktiver Optimierungen lassen sich Spannungskonzentrationen in Bauteilen häufig nicht vermeiden und diktieren die Festigkeit des einzusetzenden Werkstoffs. Die Folge ist eine geringe Materialausnutzung und die Notwendigkeit, hochfeste Werkstoffe zu verwenden. Dies ist aus technischer sowie wirtschaftlicher Sicht oft nicht die optimale Lösung. Abhilfe bietet das Verfahren der Autofrettage. Ohne Geometrieänderung kann durch gezielte Überlastung und lokale Plastifizierung die Bauteilfestigkeit gesteigert werden. Die Betriebsspannungen werden reduziert, die Spannungsverteilung homogenisiert und so eine höhere Materialausnutzung erzielt. Oft kann damit ein hochfester Werkstoff durch einen mittelfesten, kostengünstigeren Werkstoff ersetzt werden. Die Autofrettage kann als „intelligentes“ Verfahren bezeichnet werden, denn sie wirkt genau in den Bereichen höchster Bauteilbeanspruchung. Mit Hilfe von elasto-plastischen Finite-Elemente- Analysen kann dieser Prozess simulativ abgebildet werden und ermöglicht dadurch eine optimale konstruktionsbegleitende Auslegung der Bauteile und Verfahrensparameter. Bisher konzentriert sich die Anwendung der Autofrettage-Technologie auf spezielle Anwendungsbereiche und hohe Fluiddrücke. Das Verfahren bietet allerdings ein erhebliches Potential für normale technische Anwendungen und kann dazu beitragen, druck ­ be lastete Bauteile sicherer und wirtschaftlicher auszulegen. Zudem ist das Prinzip von der Fluidtechnik auf andere Anwendungen übertragbar. Da das Know-how und die Berechnungsmethoden zur Verfügung stehen, braucht es nur noch den Mut, diese Technologie für innovative Produkte einzusetzen. www.entwicklungsbuero.de Autor: Dipl.-Ing. Lukas Berbuer, Entwicklungsbüro für Fluidtechnik, Aachen O+P – Ölhydraulik und Pneumatik 5/2016 81

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