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O+P Fluidtechnik 6/2021

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O+P Fluidtechnik 6/2021

CO2-BILANZ FORSCHUNG UND

CO2-BILANZ FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG 2 BERECHNUNGSTOOL ZUR ERMITTLUNG DES PRODUCT CARBON FOOTPRINTS Um verschiedene Produkte miteinander vergleichen zu können muss ein einheitlicher Bilanzraum definiert werden. Zur Bestimmung des PCF sollte stets der gesamte Produktlebenszyklus (engl. product life-cycle, PLC) berücksichtigt werden. Der PLC ist in fünf wesentliche Abschnitte unterteilt und deckt das gesamte Produktleben von den Materialien über die Fertigung, die Distribution und den Betrieb bis hin zum End-of-Life ab. Im Rahmen des durch die AiF geförderten Forschungsprojekts „Carbon Footprint -Ermittlung des Carbon Footprints unterschiedlicher Antriebsarten von Produktionsanlagen“ wurde aufbauend auf dem Vorgehen der DIN EN ISO 14067 ein Berechnungstool für die PCF Analyse entwickelt. Dieses ist analog zum PLC in fünf Abschnitte unterteilt und bietet abschließend eine einfache und strukturierte Auswertung der berechneten Ergebnisse. Bevor in dem Berechnungstool mit dem ersten Abschnitt begonnen werden kann, ist eine Eingabe der Basisdaten erforderlich. Diese beinhalten neben Informationen zu der Materialzusammensetzung und den Prozessschritten auch Informationen über den Produktionsstandort, welcher für die Berechnung der Distribution benötigt wird. Die nachfolgenden Passagen geben einen tieferen Einblick in die fünf Abschnitte des PLC und deren Umsetzung im Berechnungstool. 2.1 MATERIAL- & ROHSTOFFGEWINNUNG Der erste Abschnitt umfasst alle Aspekte der Rohstoffbereitstellung. Dazu zählen für mineralische Werkstoffe insbesondere die Rohstoffgewinnung und ggfs. -verhüttung. Darüber hinaus werden einige Rohstoffe als Halbzeuge zur Weiterverarbeitung ausgeliefert, wie bspw. Metalle als Stangen- oder Plattenmaterial. Die Anlieferung dieser Materialien zum Produktionsstandort fällt ebenfalls unter diesen Punkt. Analog dazu beginnt die PCF-Analyse durch das Berechnungstool mit der Bestimmung der Materialzusammensetzung des Produktes. Dabei werden alle Rohmaterialien für die Inhouse Fertigung sowie die Halbzeuge und Zulieferteile berücksichtigt. Zu den erforderlichen Daten zählen Typ-übergreifende Informationen, wie bspw. die Menge, Werkstoff/Materialgruppe, Netto-Gewicht, Jahresproduktion, Stückzahl, Recyclingstatus, Herkunft und Transportmittel sowie Typ-spezifische Daten, wie der PCF der Zulieferteile und Halbzeuge. Zur Einbeziehung von Materialrückständen durch Weiterverarbeitungsprozesse wird in der Bilanzierung zwischen Netto- und Brutto-Gewicht differenziert. Bei der Eingabe des Werkstoffes kann aus einer erweiterbaren Liste von aktuell 42 verschiedenen Materialgruppen gewählt werden, deren jeweilige CO 2 -Äquivalente pro Kilogramm Material hinterlegt sind. Mit Hilfe der Angaben zu Herkunftsland und Transportmittel werden die zurückgelegten Kilometer angegeben und mittels Literaturwerten der CO 2 -Ausstoß ermittelt. 2.2 FERTIGUNG Nach Anlieferung der Materialien und Rohstoffe erfolgt die Fertigung des Produktes. Darin inbegriffen ist die Weiterverarbeitung von Halbzeugen. Neben elektrischer Energie zum Betrieb von Werkzeugmaschinen werden weitere Hilfsstoffe wie beispielsweise Schmier- und Kühlmittel benötigt und der Bilanzierung hinzugefügt. Während der manuellen und maschinell unterstützten Vor- und Endmontage ist eine trennscharfe CO 2 -Bilanzierung nur bedingt realisierbar, sodass der Aspekt der Montage im Berechnungstool nur begrenzt berücksichtigt wird. Dies ist der schwierigen Quantifizierung der manuellen Arbeit hinsichtlich CO 2 -Äquivalenten geschuldet. Aufgrund von limitierten Daten zu Produktionsprozessen wird für das Berechnungstool ein alternativer Ansatz zur Abschätzung der resultierenden CO 2 -Emissionen verwendet. Grundlage dafür stellt der Jahresenergieverbrauch der Maschinen dar, die eine gewisse Materialgruppe verarbeiten. Diese Größe ist durch den Anwender vorzugeben und kann durch den Jahresstromverbrauch und die Leistungsaufnahme der Maschinen abgeleitet werden. Dazu werden die kumulierten Gesamtmassen der verarbeiteten Materialgruppen aller Teilkomponenten mit Hilfe der jeweiligen Komponentenanzahl, der verarbeiteten Materialmenge als Differenz aus Brutto- und Netto-Gewicht sowie der Gesamtmenge des produzierten Endprodukts bestimmt. Analog zu dieser Vorgehensweise werden die angefallenen Hilfsstoffe bilanziert. Durch die Angabe des Jahresverbrauches und der bekannten Gesamtmenge des produzierten Endprodukts wird die CO 2 -Emission für den Einsatz des Hilfsstoffes je Einheit ermittelt. Dabei kann auf eine Vielzahl an Hilfsstoffen, die mit Literaturwerten für die CO 2 -Emission hinterlegt sind, zurückgegriffen werden. Besonderes Augenmerk wird an dieser Stelle auf die CO 2 -Emission in Bezug auf den elektrischen Strommix gelegt. Hier besteht die Möglichkeit, den lokalen CO 2 -Emissionswert anzupassen und zusätzlich den Anteil an emissionsfreiem (bspw. selbstproduziertem) Ökostrom mit in die Bilanzierung einfließen zu lassen, welcher sich positiv in der Gesamtbilanzierung bemerkbar macht. 2.3 DISTRIBUTION Die Distribution umfasst den Transport des Endprodukts von der Produktionsstätte zum Nutzungsort. Dabei ist neben der Entfernung auch das Transportmittel zu berücksichtigen. Heutige Distributionsnetzwerke können beliebig komplex werden. Um eine Schnellabschätzung durchführen zu können, wird deshalb lediglich ein einziger Distributionsweg auf Basis der Entfernung und des gewählten Transportmittels berücksichtigt. Die Entfernung zwischen zwei Standorten lässt sich auf unterschiedliche Art und Weise bestimmen. Die Nutzung von onlinebasierten Routenplanungstools liefert hierbei erfahrungsgemäß die genauesten Kalkulationsergebnisse. Da das Berechnungstool im Excel-Format eine praktikable Lösung für den Anwender bieten soll, wurde auf die Einbindung eines online basierten Berechnungsverfahrens verzichtet. Die Entfernung zum Zielort wird unter Berücksichtigung der Erdkrümmung als Luftlinie berechnet. So wird durch die Angabe des Zielortes und des Transportmittels die resultierende CO 2 -Emission bestimmt. 2.4 BETRIEB & WARTUNG Die Nutzungsphase stellt für viele industriell verwendete Produkte, wie bspw. Linearantriebe, oft die zeitlich längste und energieintensivste Phase dar. Die CO 2 -Emissionen sind zum einen durch den Energieverbrauch zur Erfüllung einer Aufgabe definiert, zum anderen werden während des Betriebs Wartungen durchgeführt, bei welchen sowohl Hilfsstoffe (bspw. Schmiermittel) verwendet als auch Komponenten (bspw. Dichtungen) ausgetauscht werden. Zur Erfassung der betriebsbedingten Emissionen wird in dem Berechnungstool über eine Eingabemaske zwischen den Primärenergieträgern (Druckluft oder elektrischer Strom) unterschieden. Darüber hinaus werden benötigte Ersatzteile erfasst 34 O+P Fluidtechnik 2021/06 www.oup-fluidtechnik.de

RUBRIZIERUNGSEBENE 02 Visuelle Auswertung einer CO 2 -Bilanzierung eines pneumatischen Zylinders und auf den im ersten Abschnitt definierten, materialbedingten PCF aufgeschlagen. 2.5 END-OF-LIFE Das Lebensende (engl. End-of-Life, EoL) umfasst die Zeitspanne, in welcher das Produkt seine spezifische Aufgabe erfüllt hat und aus wirtschaftlichen oder funktionellen Gründen aus dem Betrieb genommen und unterschiedlichen Endverwertungen zugeführt wird. Neben der Demontage und einer Rückführung aller noch verwendbaren Materialien in den Rohstoffzyklus (vollständiges Recycling) besteht die Option der Einlagerung. Diese erfolgt zwar bis auf die Lagerhaltungsaufwände CO 2 -neutral, jedoch können keine Gutschriften für die Materialien in Anspruch genommen werden. Im Berechnungstool ist die EoL-Analyse in zwei Teile untergliedert. Der erste Teil betrachtet die EoL-Analyse des Herstellers. Hier können für die Materialrückstände (bspw. Reststücke der Halbzeuge oder Späne) CO 2 -Gutschriften erreicht werden, falls diese Materialien wieder dem Kreislauf zugeführt werden. An dieser Stelle ist auf eine mögliche Doppelbilanzierung zu achten und ein Abgleich mit der Rohstoffbilanzierung durchzuführen, um eine Verfälschung der Recyclingbilanzierung zu vermeiden. Der zweite Teil berücksichtigt alle Einzelkomponenten und die aus der Betriebsphase entnommenen Ersatzteile. Diese können zur Erreichung einer CO 2 -Gutschrift wiederverwertet werden. Energetische Aufwände für Lagerung oder Demontage werden aufgrund unzureichender Daten nicht berücksichtigt. 2.6 AUSWERTUNG DER PCF-ANALYSE Die abschließende Auswertung bietet dem Anwender eine strukturierte und visuelle Übersicht. Beispielhaft ist in Bild 02 die Auswertung der Bilanzierung eines pneumatischen Zylinders dargestellt. Zusätzlich zu einer summierten Darstellung aller Bilanzierungsabschnitte werden die einzelnen Abschnitte individuell aufgeschlüsselt dargestellt. Das Bilanzierungstool erzeugt dabei für jeden Abschnitt Diagramme zur visuellen Verdeutlichung der CO 2 -Emission jedes Prozessschrittes bezogen auf das gesamte Produkt bzw. auf den jeweiligen Abschnitt. So ist es dem Anwender möglich auf den ersten Blick und ohne Vorkenntnisse der Auswertung selbst, Probleme und Optimierungspotentiale bezüglich des CO 2 -Fußabdruckes des Produktes abzuleiten. 3 ZUSAMMENFASSUNG Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Die Folgen eines unkontrollierten Klimawandels und das globale Bestreben diesem entgegenzuwirken gewinnen schon heute zunehmend an Relevanz, auch in wirtschaftlich orientierten Industrieunternehmen. Neben den ökologischen Aspekten werden in der Zukunft auch vermehrt wirtschaftliche Regularien, wie die kontinuierliche Erhöhung der Kosten von Emissionszertifikaten, Unternehmen zur Reduktion von CO 2 -Emissionen motivieren. Vergleichbar mit dem Preis und der Lieferdauer kann in Zukunft der Emissionswert eines Produktes ein Kaufkriterium darstellen. Die Abschätzung des CO 2 -Fußabdrucks eigener Produkte ist ein essentieller Schritt in Richtung einer kontinuierlichen Reduzierung der CO 2 -Emissionen. Durch die Identifikation und Optimierung von CO 2 -Stellhebeln im Produktlebenszyklus kann der Weg zu einer grünen Produktion eingeleitet und schlussendlich die Marktpositionierung verbessert werden. Mit Hilfe des entwickelten Berechnungstools ist es Zulieferern, Komponentenherstellern und Endanwendern möglich, den CO 2 - Fußabdruck der Produktion, Distribution und des Betriebs von Produkten zu berechnen. Dabei basiert der methodische Ansatz auf der DIN EN ISO 14067, wobei Vereinfachungen getroffen wurden, um eine ressourcenschonende und schnelle Abschätzung des direkten und indirekten Ausstoßes von CO 2 zu realisieren. Anwendern des Tools ist es möglich, diese Abschätzung mit geringem Aufwand selbst durchzuführen und Optimierungspotentiale bezüglich des eigenen CO 2 -Fußabdrucks zu identifizieren sowie Kunden Auskunft über die Ergebnisse zu liefern. Bilder: Aufmacher: Pixabay, Bild 01+02: ifas RWTH Aachen www.ifas.rwth-aachen.de Literaturverzeichnis /BMU20/ Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit „Klimaschutz in Zahlen. Fakten, Trends und Impulse deutscher Klimapolitik“, Ausgabe 2020 www.oup-fluidtechnik.de O+P Fluidtechnik 2021/06 35

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