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O+P Fluidtechnik 1-2/2016

O+P Fluidtechnik 1-2/2016

ANTRIEBE FORSCHUNG UND

ANTRIEBE FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG PEER REVIEWED LEBENSDAUER ALS OPTIMIERUNGSZIEL – ALGORITHMISCHE STRUKTURSYNTHESE AM BEISPIEL EINES HYDROSTATISCHEN GETRIEBES Angela Vergé, Philipp Pöttgen, Lena Altherr, Thorsten Ederer, Univ.-Prof. Peter F. Pelz Verfügbarkeit und Nachhaltigkeit sind wichtige Anforderungen bei der Planung langlebiger technischer Systeme. Meist werden bei Lebensdaueroptimierungen lediglich einzelne Komponenten vordefinierter Systeme untersucht. Ob eine optimale Lebensdauer eine gänzlich andere Systemvariante bedingt, wird nur selten hinterfragt. Technical Operations Research (TOR) erlaubt es, aus Obermengen technischer Systeme automatisiert die lebensdaueroptimale Systemstruktur auszuwählen. Der Artikel zeigt dies am Beispiel eines hydrostatischen Getriebes. Autoren: Angela Vergé, Philipp Pöttgen, Lena Altherr, Thorsten Ederer, Univ.-Prof. Peter F. Pelz, Institut für Fluidsystemtechnik, Technische Universität Darmstadt 114 O+P – Ölhydraulik und Pneumatik 1-2/2016

ANTRIEBE EINFÜHRUNG Die Verfügbarkeit von technischen Systemen ist neben der Effizienz und den Kosten das wichtigste Entscheidungskriterium für oder gegen eine Systemvariante. Durch eine Reduzierung der Ausfallzeit bzw. eine Erhöhung der Lebensdauer der einzelnen Komponenten wird die Verfügbarkeit des Systems gesteigert. Eine hohe Lebensdauer bedeutet eine sichere Funktion, welche heute gefordert ist (DIN EN ISO 13849), beeinflusst aber auch den ökonomischen Wert des Systems: Ist eine Komponente kostengünstig, muss aber aufgrund der geringen Lebensdauer oft erneuert werden, kann dies hohe Ausfallkosten durch Systemstillstände verursachen. In einem solchen Fall kann es für den Betreiber lohnender sein, eine in den Anschaffungskosten teurere, aber in ihrer Lebensdauer verbesserte Komponente anzuschaffen. Betrachtet man heute Lebensdauerberechnungen, werden bei diesen die einzelnen Komponenten für eine vordefinierte Systemtopologie in den Mittelpunkt gestellt und optimiert. Unbeantwortet bleibt zumeist jedoch die Frage, ob das Ziel „hohe Verfügbarkeit“ eine ganz andere Topologie, d. h. eine gänzlich andere Systemvariante bedingt. Mit Technical Operations Research – TOR – existiert eine Methodik, welche algorithmisch die lebensdaueroptimale Systemstruktur findet. TOR hat seinen Ursprung an der TU Darmstadt genommen. Es ist ein Ergebnis des Sonderforschungsbereichs 805 „Beherrschung von Unsicherheit in lasttragenden Systemen des Maschinenbaus“. Ziel der Methode ist es, Modelle und Algorithmen zur Strukturfindung von komplexen technischen Systemen bereitzustellen. Hierbei können vom Anwender unterschiedliche Gütekriterien wie Kosten, Effizienz oder Verfügbarkeit definiert werden. Diese werden in der Optimierung automatisiert gegeneinander abgewogen. So wird für den Anwender in kurzer Zeit ein optimaler Lösungsvorschlag generiert. Die TOR-Methodik wurde bereits zur Optimierung verschiedener technischer Systeme, wie Heizungs- [Pöt15] oder Lüftungssysteme [Scä15] eingesetzt. Fernziel ist die vollautomatische Systemauslegung auf Knopfdruck. ALGORITHMISCHE SYNTHESE EINES VERSCHLEISSOPTIMALEN HYDROSTATISCHEN GETRIEBES Als Anwendungsbeispiel wird eine hydraulische Schaltung mittels der TOR-Methodik optimiert. Das Optimierungsmodell basiert auf Techniken der linearen Optimierung, die bereits erfolgreich in der Logistik, Produktionsplanung oder zur Erstellung von Fahrplänen [Suh05] eingesetzt werden, und die nun auch bei der Strukturierung technischer Systeme Anwendung finden. In diesem neuen Kontext ermöglicht diese Technik die algorithmische Synthese von hydraulischen Systemen [Doe14]. Die Modellbildung erfordert ein systematisches Vorgehen, da vor der Optimierung alle Randbedingungen bekannt sein müssen. Die TOR-Pyramide (Bild 01) verdeutlicht die einzelnen Schritte. Am Beispiel des hydrostatischen Getriebes werden die ersten vier Schritte behandelt. Schritt 1: Im ersten Schritt wird die Funktion des zu optimierenden Systems beschrieben. Diese ist durch einen Lastzyklus gegeben, den ein Kolben während des Betriebs eines hydrostatischen Getriebes ausführen soll. Das Ausfahren des Kolbens erfolgt gegen eine Last F aus bei geringer Geschwindigkeit V aus . Das Einfahren der Kolben- 01 Die 7 Schritte der TOR-Methodik 1. WAS IST DIE FUNKTION? 2. WAS IST MEIN ZIEL? 3. WIE GROß IST DAS SPIELFELD? 4. TOR SUCHT DAS OPTIMALE SYSTEM! 5. VERIFIZIERE MIT MODELICA! 6. VALIDIERE! 7. REALISIERE! stange erfolgt anschließend gegen eine deutlich geringere Kraft F ein bei höherer Geschwindigkeit V ein . Zur Versorgung des Kolbens steht eine Konstantdruckleitung zur Verfügung (vgl. Bild 02). Schritt 2: Das Optimierungsziel wird festgelegt. Das Ziel ist immer subjektiv und liegt im Spannungsfeld zwischen Aufwand und Verfügbarkeit. Die Verfügbarkeit des Systems wird neben Spontanausfällen seiner Komponenten auch durch deren Verschleiß beeinflusst. Im Beispiel soll erosiver Verschleiß der verbauten Proportionalventile infolge stark partikelbeladenen Öls betrachtet werden. Der abrasive Verschleiß infolge des Eintauchens des Ventilschiebers in die Hülse wird vernachlässigt. Ist die Funktion eines Ventils durch dessen Verschleiß nicht mehr gewährleistet, muss dieses ausgetauscht werden. Für die Optimierung werden zwei unterschiedliche Zielstellungen betrachtet: (i) der ununterbrochene Systembetrieb der Maschine ohne einen wartungsbedingten Ausfall soll so lange wie möglich gewährleistet sein. Hierbei steht die Verfügbarkeit des Systems im Vordergrund, der Aufwand wird zunächst nicht berücksichtigt. (ii) geringster Materialeinsatz, d. h. über die gesamte Lebensdauer der Maschine sollen so wenige Ventile wie möglich eingesetzt werden. Dies schließt sowohl die anfangs gekauften Ventile als auch die später durch alterungsbedingten Ausfall auszutauschenden Ventile mit ein. Bei dieser Zielstellung wird ein Gleichgewicht zwischen der Verfügbarkeit und dem zu betreibenden Aufwand hergestellt. Schritt 3: Der Algorithmus der Methode TOR kann verschiedene Ventile aus einem vorgegebenen Komponentenbaukasten wählen und verschalten, d. h. er schafft die Struktur. Welche Komponenten für das optimale Gesamtsystem in beliebiger Kombination verschaltet werden dürfen, wird in diesem Schritt festgelegt. Das Spielfeld zur Optimierung besteht im Anwendungsbeispiel aus vier 2/2-Wege-Proportionalventilen und vier 2/2-Wege-Schaltventilen (Bild 02). Die funktionsrelevanten Eigenschaften dieser Komponenten werden durch charakteristische Kurven im Optimierungsprogramm hinterlegt. Die Ventile können zwischen den Anschlüssen an der Druckversorgung, am Tank und am Kolben beliebig miteinander verschaltet werden. Die Emulation eines 4/3-Wege-Proportionalventils – hier mit getrennten Steuerkanten – steht genauso zur Auswahl wie der Einsatz einer Parallel- oder Reihenschaltung. Die O+P – Ölhydraulik und Pneumatik 1-2/2016 115

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