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O+P Fluidtechnik 1-2/2016

O+P Fluidtechnik 1-2/2016

PROF. DR.-ING. SIEGFRIED

PROF. DR.-ING. SIEGFRIED HELDUSER DER GRÖSSTE VORTEIL LIEGT IN DER SEHR FLEXIBLEN WERTSCHÖPFUNGSKETTE SPECIAL / INDUSTRIE 4.0 Bereits seit Jahrzehnten gehört der Einsatz rechnerunterstützter Methoden bei Produktentwicklung und -herstellung in der Fluidtechnik zum Industriestandard. Das Denken in Systemen, die Methodik der Mechatronik, hat den Fluidtechnikern den Weg zu einer zunehmenden Integration von Funktionen in ein mechatronisches Gesamtsystem gezeigt, das leistungsfähiger, meist kostengünstiger und bedienfreundlicher ist als konventionelle Lösungen mit einzelnen Funktionseinheiten. Was verändert die Strategie „Industrie 4.0“? Bei Industrie 4.0 (I4.0) geht es vorrangig um den Einzug von Technologien des Internets in die Fertigungsautomation. Technologische Grundlage für eine Produktion im Sinne dieser Strategie sind intelligente Funktionseinheiten und deren elektronische Vernetzung. Im April 2015 hat die VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik (GMA) einen Statusreport „Referenzarchitekturmodell Industrie 4.0“ veröffentlicht, der gemeinsam mit dem ZVEI und der Deutschen Kommission Elektrotechnik erarbeitet wurde. Darin finden sich hilfreiche Hinweise und Beispiele sowie die Erläuterung von Begriffen und Standards. So sind die elektronische Hardware und die Software einer intelligenten Funktionseinheit in einer sogenannten Verwaltungsschale zusammengefasst. Sie ermöglicht im Wesentlichen die digitale Speicherung von Daten (beispielsweise Konstruktions- und Fertigungsinformationen, Status der Bearbeitung, Daten aus dem Lebenszyklus) und eine Kommunikation in Echtzeit mit anderen Funktionseinheiten über das Internet. In der I4.0-Terminologie wird der mechanische Teil der intelligenten Funktionseinheit als Gegenstand bezeichnet. Die Kombination aus Gegenstand und Verwaltungsschale bildet eine I4.0- Komponente. Hierbei können mehrere Gegenstände zu einem Subsystem zusammengefasst und mit einer Verwaltungsschale umgeben sein. Eine I4.0-Komponente kann daher eine einzelne Funktionseinheit (z. B. Ventil), eine Baugruppe (z. B. Antriebsachse), eine Bearbeitungsstation innerhalb einer Maschine, eine einzelne Maschine oder sogar ein komplettes Produktionssystem sein. I4.0- Komponenten sind cyber-physische Systeme (CPS), die für eine Aufgabe spezialisiert sind. Ein CPS ist gekennzeichnet durch eine Verknüpfung von realen (physischen) Objekten und Prozessen mit informationsverarbeitenden (virtuellen) Objekten und Prozessen über offene und jederzeit miteinander verbundene, teilweise globale Informationsnetze (z. B. Datenwolke „Cloud“). 38 O+P – Ölhydraulik und Pneumatik 1-2/2016

109. O+P-GESPRÄCHE INDUSTRIE 4.0 – WORUM GEHT ES? Eine weitgehende Vernetzung von CPS lässt die Vision entstehen, dass zahlreiche, miteinander vernetzte und kommunizierende intelligente Objekte die Prozesse in Fertigung, Montage und Logistik auf der Grundlage ihrer Programmierung sowie aktueller Sensordaten und Informationen aktiv und autonom steuern und sogar optimieren (smart factory). Es entsteht das Internet der Dinge (IOT – Internet of Things): Identifizierbare physische Objekte kommunizieren miteinander über ein Netzwerk (erhalten so eine virtuelle Repräsentation) und organisieren ihr Handeln selbstständig. In der I4.0-Fabrik soll die gesamte Produktion dezentral organisiert und gesteuert werden – nicht zentral, hierarchisch gegliedert wie heute meist üblich. Jedes Werkstück hat in der Verwaltungsschale einen hochleistungsfähigen Kleinstcomputer, in dem alle Produktinformationen als digitales Produktgedächtnis gespeichert sind. Der Rechner kennt den aktuellen Zustand des Werkstücks und die noch fehlenden Fertigungs- und Montageschritte bis zur Auslieferung an den Kunden – und möglicherweise sogar den dortigen Einsatz. Er kann in maschinenverständlicher Art und Weise über seinen Gegenstand Auskunft geben sowie neue Informationen empfangen und verarbeiten. Der Informationsaustausch geschieht in der Regel über Funk. Werkstücke können in Echtzeit mit den Maschinen oder Bearbeitungs- und Montagezentren kommunizieren, welche die nächsten Bearbeitungsschritte ausführen. Das intelligente Werkstück (smart product) findet selbstgesteuert seinen Weg durch die Fertigung und organisiert seinen Produktionsprozess im Falle einer Störung einzelner Maschinen selber neu. Der wichtigste Vorteil, den eine solch umfassende Neuorganisation der Produktion in Aussicht stellt, ist eine sehr flexible Wertschöpfungskette mit kurzen Durchlaufzeiten, geringer Lagerhaltung und wettbewerbsfähigen, individualisierten Produkten. Die neue Methodik soll Die Industrieverbände BITKOM, VDMA und ZVEI haben gemeinsam die Vereinigung „Plattform Industrie 4.0“ gegründet. Als wichtigste, branchenübergreifende Aktionsfelder wurden Forschung und Innovation, Referenzarchitekturen, Sicherheit vernetzter Systeme und Standardisierung herausgestellt. die Herstellung einer großen Zahl von Produktvarianten auch mit geringen Losgrößen – bis hin zur Losgröße 1 – ermöglichen, ohne dass höhere Kosten oder wesentlich längere Lieferzeiten als bei einer Massenfertigung entstehen. Wenn eine große Stückzahl keine Vorrausetzung mehr ist für die wirtschaftliche Fertigung eines Produkts, dann ließen sich neue, innovative Geräte in kleinen Stückzahlen rentabel fertigen und eine Markteinführung bei überschaubaren Kosten testen. Man käme zu einer „kundenindividualisierten Massenproduktion“ mit einer wesentlich schnelleren Abfolge von Produktgenerationen als heute. Nun muss die Neuorganisation von Produktionsprozessen nicht unmittelbar ein Technologietreiber für Entwicklungen bei hydraulischen und pneumatischen Komponenten und Systemen sein. Es gilt aber zu bedenken, dass sich durch CPS die klassischen, hierarchischen Architekturen der Automatisierungstechnik (z. B. Feldebene, Steuerungs-, Prozessleit-, Betriebsleit- und Unternehmensebene) sukzessive auflösen werden und ebenfalls in Richtung vernetzter, dezentral organisierter intelligenter Komponenten oder teilweise sogar hin zu sich selbst organisierenden Diensten entwickeln könnten. Dabei werden sich die Steuerungs- und Überwachungsfunktionen aus den höheren Ebenen der Automatisierungspyramide nach unten auf die Feldebene verlagern. Antriebs- und steuerungstechnische I4.0-Komponenten könnten die Fähigkeit erhalten, Aufträge aus der bisher übergelagerten Steuerungsebene zu übernehmen und in Abstimmung mit anderen intelligenten Objekten selbständig auszuführen. Dies unterstützt die Entwicklung intelligenter mechatronischer Funktionseinheiten mit integrierter Sensorik und Aktorik. TEILNEHMER DER 109. O+P GESPRÄCHE ■ Dr. Margit Barth, Strategisches Marketing, Hydac Electronic GmbH ■ Dr. Steffen Haack, Mitglied des Bereichsvorstands mit Zuständigkeit für Industrial Applications und Vertrieb, Bosch Rexroth AG ■ Roman Cecil Krähling, Leiter Condition Monitoring & Elektronik, Argo-Hytos GmbH ■ Prof. Dr.-Ing. Peter Post, Leiter Corporate Research and Technology bei der Festo AG & Co. KG und Vorsitzender des Forschungsfonds Fluidtechnik ■ Prof. Dr.-Ing. Matthias Putz, Institutsleiter, Fraunhofer- Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU ■ Dr. Peter Saffe, Vice President Strategic Sales, Aventics GmbH ■ Günter Schrank, Geschäftsführer, Parker Hannifin GmbH ■ Dipl.-Ing. Peter-Michael Synek, Stellvertretender Geschäftsführer des Fachverbands Fluidtechnik im VDMA ■ Dipl.-Ing. Milos Vukovic, Gruppenleiter System- und Steuerungstechnik, IFAS der RWTH Aachen ■ Prof. Dr.-Ing. Siegfried Helduser, Technisch- Wissenschaftlicher Beirat von O+P ■ Dr. Michael Werner, Verlagsleiter der Vereinigten Fachverlage GmbH ■ Carmen Nawrath, Leitung Zentrales Marketing & Corporate Services der Vereinigten Fachverlage GmbH ■ Dipl.-Ing. (FH) Michael Pfister, Redaktion O+P ■ Peter Becker B.A., Redaktion O+P O+P – Ölhydraulik und Pneumatik 1-2/2016 39

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