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O+P Fluidtechnik 1-2/2019

O+P Fluidtechnik 1-2/2019

MASCHINENBAU-MITTELSTAND

MASCHINENBAU-MITTELSTAND UND SOFTWARE-GIGANTEN – KONKURRENTEN ODER PARTNER? nicht zu tun! Wer heute Marktführer ist, kann morgen schon ersetzt werden. Wir raten unseren Kunden und Partnern, ihre Transformation sofort proaktiv voranzutreiben. Dazu gehört nicht nur, Prozesse zu optimieren und bestehende Angebote zu digitalisieren, sondern sich neuen Geschäftsmodellen zu öffnen. Das heißt: Unternehmen müssen verstehen, wo sie nicht nur nachrüsten können, sondern auch ganz neue Wege gehen können, indem sie z.B. ganz neue Services zu ihren bestehenden Produkten anbieten. Für Fabrikautomatisierer und Anlagenbauer stellt sich die Frage, wie das Geschäftsmodell der Zukunft für den Betrieb ihrer Maschinen und Anlagen aussehen wird. Welche Rolle wird das Angebot von digitalen Dienstleistungen und Softwaretools dabei spielen? Noch eine Sache am Rande: Laut McKinsey könnte das Bruttoinlandsprodukt bis zu 500 Milliarden Euro steigen, wenn Deutschland den Weg der Digitalisierung richtig geht. Britzger (Aventics): Ich glaube, dass Deutschland im B2B-Bereich eine gute Grundlage hat, um den internationalen Wettbewerb zu dominieren, nachdem die USA den B2C-Wettbewerb klar für sich entscheiden konnten. Unter einer Voraussetzung: Die Denkweise muss sich ändern. Wir müssen viel stärker in Partnerschaften und Zusammenarbeit über Unternehmens- und Branchengrenzen hinaus denken. Wenn sich diese Denkweise durchsetzt, kann der deutsche Maschinenbau eine Innovationskraft entwickeln, die es anderen Ländern schwer machen wird, mitzuhalten. Davon abgesehen, wird es künftig sehr wichtig sein, die Kundenbedürfnisse noch besser zu verstehen und mit dem Kunden gemeinsam eine Lösung für seine Probleme zu entwickeln. Geng (Festo): Da möchte ich Herrn Dr. Britzger zustimmen. Auch wir bei Festo sehen die gemeinsame Entwicklungsarbeit mit dem Kunden als sehr wichtig an. Sich selbst Lösungen für fiktive Probleme zu überlegen, ist wenig zielführend. Dieser Wandel bringt natürlich auch Veränderungen für die Mitarbeiter mit sich, gerade auch im Vertrieb. Unsere Mitarbeiter müssen plötzlich nicht mehr nur Stahl und Alu verkaufen, sondern auch noch Software. Das ist eine große Herausforderung für Festo. Weiterhin versuchen wir uns von amerikanischen B2C-Vorbildern, Stichwort Silicon Valley, inspirieren zu lassen. Glatz (Moderator): Die Konkurrenz sitzt also in den USA, Asien bzw. China und Japan folgen mit geringem Abstand. Stimmen dem alle zu? ARBEIT 4.0: DER MENSCH UND DIE DIGITALISIERUNG Glatz (Moderator): Mehrfach ist nun schon das Thema „People“ aufgekommen. Wie nehmen wir die Mitarbeiter mit in die digitale Welt? Haben wir die richtigen Leute? Sind sie entsprechend ausgebildet? Das möchte ich gerne aufgreifen. Der Erste, der es erwähnt hatte, war Herr Kienzle. Kienzle (Argo-Hytos): Die Unternehmen müssen mehr tun, um die benötigten Fachkräfte aufzubauen und vor allem auch um sie später in den Unternehmen zu halten. Da sind wir meines Erachtens noch am Anfang. Arbeitsumgebungen, wie man sie aus dem Silicon Valley kennt, sind da sicherlich interessant. Im eigenen Unternehmen ist es manchmal schwierig, das Kaninchenkasten- Thomas (Siemens): Nur teilweise. Wenn wir über Software sprechen, stimme ich zu. Wenn wir über den klassischen Maschinenbau sprechen, unterstütze ich sie nicht. Die Karten werden neu gemischt. Die Unternehmen, die auch im Management bereit sind, mit bester technischer Kompetenz neue Wege zu gehen, werden erfolgreich sein. Ich sage zu jungen Kollegen immer: Die Erfolgsrezepte von heute, die die letzten zwanzig Jahre gegolten haben, müssen nicht die Erfolgsrezepte der Zukunft sein. Sandhöfner (B&R): Ich sehe die chinesische Wirtschaft in der Umsetzung der Digitalisierung in der Fertigung sogar als führend an. Sie haben eine starke Fertigungsbasis. Nahezu alle unsere Konsumgüter werden dort produziert. Wenn sie diese Fertigung nun noch intelligent machen, sind sie dort an der Spitze. Die Amerikaner haben zwar mit Digitalisierung und IT begonnen und große Erfolge gefeiert. Chinesische Unternehmen treiben das Thema jedoch mit einer Vehemenz, mit einer Manpower und einer unterstützenden Regierung voran, die seinesgleichen sucht. Die Amerikaner sind in der IT stark, haben aber meines Erachtens zu wenig in die eigene Fertigung investiert, bzw. zu viel gerade auch nach China ausgelagert. Kube (SAP): Wenn Sie es so ausdrücken, gebe ich Ihnen Recht, Herr Sandhöfner. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Deutschland und Amerika schaukeln sich gegenseitig hoch und China beobachtet das Ganze, kopiert es, und führt es letztlich zielführend zusammen. Das ist eine große Gefahr für uns im internationalen Wettbewerb. Denken aufzubrechen, in dem jeder Mitarbeiter in seinem kleinen Büro sitzt und keiner spricht mit dem anderen. Hier muss an modernen Arbeitsumfeldern gearbeitet werden, die es ermöglichen, das im Unternehmen vorhandene Know-how besser zu nutzen. Röhrig (GFOS): In der IT-Branche werden mehrere zehntausend Mitarbeiter gesucht. An den Universitäten haben wir eine Abbrecher-Quote von über 70 Prozent in Informatikfächern. Woran liegt das? Wir brauchen sicherlich eine ganz andere Bildungspolitik. Wir brauchen mehr Technikbegeisterte, sowohl im Maschinenbau als auch in der Softwareentwicklung – von Künstlicher Intelligenz oder Business Analytics will ich gar nicht sprechen. Dort finde ich 24 O+P Fluidtechnik 1-2/2019

111. O+P-GESPRÄCHE sind Sechzigjährige genauso motiviert dabei wie Kollegen, die gerade aus dem Studium kommen. den Ansatz der Wissensfabrik Deutschland sehr lobenswert. Die Wissensfabrik ist ein Netzwerk aus mehr als 130 Unternehmen und unternehmensnahen Stiftungen, die sich in Bildungseinrichtungen und für Start-ups engagieren, um Kinder, Jugendliche, Studierende und Gründer zu fördern. Britzger (Aventics): Ja, der Nachwuchs ist wichtig. Aber für den Mittelstand ist die Frage, wie gehe ich mit meinem aktuellen Mitarbeiterstamm um, die dringendere. Wie berühre ich diese Menschen im Umgang mit der Digitalisierung und wie entwickle ich diese weiter? Menschen, die vor zwanzig Jahren als Maschinenbauer angefangen haben, und jetzt feststellen, dass sie auf einmal programmieren sollen. Die aktuell Studierenden wissen, dass dies von ihnen verlangt wird und sie werden auch entsprechend ausgebildet. Die Absolventen, die jetzt ins Berufsleben eintreten, werden in fünf bis zehn Jahren sicherlich Führungsaufgaben übernehmen. Aber in dieser Zeit muss ich schon meine bestehenden Mitarbeiter weiterentwickeln, denn in diesem Zeitfenster entscheidet sich der Wettbewerb mit China und den USA. Synek (VDMA): Wie wollen Sie diese Menschen denn berühren? Wie wollen Sie die jungen Leute an sich binden? Wie muss sich eine Unternehmensstruktur ändern, um junge Leute zu motivieren und zu loyalen Mitarbeitern zu entwickeln? Mit den aktuellen Strukturen im Mittelstand geht das meiner Meinung nach nicht. Britzger (Aventics): Man muss zwischen einer realen und einer imitierten Digitalen Transformation eines Unternehmens unterscheiden. Es reicht nicht, sich ein junges Start-up aus Berlin einzuverleiben und dann zu behaupten, man sei ein digital transformiertes Unternehmen. Wir versuchen die Strukturen so zu gestalten, dass die Mitarbeiter die Freiräume bekommen, in denen sie sich entfalten können. Und zwar bottom-up. Unsere Mitarbeiter sollen sich einbringen und neue Aufgaben übernehmen. Krause (Bosch-Rexroth): Wie begeistere ich Mitarbeiter für die Herausforderungen der Zukunft? Das ist ein ganz zentraler Punkt für jedes Unternehmen, das sich mit der Digitalisierung befasst. Heutzutage motiviere ich keinen Produktmanager mehr damit, dass ich ihn in eine Abteilung setze und ihn still etwas ausarbeiten lasse. Die Leute wollen etwas entscheiden und bewegen. Entscheidungskompetenz denen geben, die das Wissen haben, ist ein zentraler Aspekt. Oftmals sehe ich bei Maschinenbauern noch die Abteilungen Mechanische Konstruktion, Elektrische Konstruktion und Software und die sitzen auch noch in verschiedenen Gebäuden. Die Leute könnten wahrscheinlicher produktiver zusammenarbeiten, wenn die Abteilungsgrenzen aufgebrochen würden. Dabei geht es nicht nur um junge Leute. Auch ältere Mitarbeiter arbeiten gerne mit, wenn sie das Gefühl haben, sie können etwas bewirken. Da Lubnau (Bosch): Wir reden gerade hauptsächlich von Ingenieuren und Entwicklern. Aber auch die Menschen auf dem Shopfloor darf man nicht vernachlässigen. Wir als Bosch haben rund 415 000 Mitarbeiter, 280 Werke weltweit, ein Großteil der Menschen arbeitet in der Produktion. Auch die wollen mitgenommen werden. Wir haben dafür eine Initiative „Mensch im Mittelpunkt“ gestartet, die sich an die Mitarbeiter „am Band“ richtet. Unser Produktportfolio ist extrem divers, von Industriekomponenten in Massenfertigung über Haushaltsgeräte und Werkzeuge bis hin zu Spezialanfertigungen in extrem geringer Stückzahl. Wir sehen hier, dass das Einbinden der Arbeitnehmervertreter von größter Wichtigkeit ist. Denn auf dem Shopfloor gibt es nicht nur Begeisterung. Da geht es um kleine Dinge, wie zum Beispiel die größere Darstellung auf Displays für Menschen mit schlechtem Sehvermögen oder eine Anzeige in der eigenen Landessprache. Solche Dinge muss man schon im Design berücksichtigen. Hier gibt es eine große Nachfrage, die wir inzwischen bedienen. In unsere Werke kommen jährlich tausende Besucher, um mit uns zu diskutieren, wie man solche Maßnahmen integriert. Und dabei geht es nicht um die Technik, sondern um die Akzeptanz bei den Mitarbeitern. Das halte ich für sehr wichtig. Aberle (Sick): Der Name Industrie 4.0 ist für mich ein Marketing- Geniestreich, und das ist gar nicht negativ gemeint. Denn dadurch, dass man dem Kind einen Namen gegeben hat, beschäftigen sich alle mit der Digitalisierung und mögliche Auswirkungen - Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter. Man wurde sensibilisiert für das Thema und entwickelt ein Gefühl für die Enabler digitaler Transformation. Niemand will sagen müssen, dass er eine Entwicklung verschlafen hat und somit obsolet wird. Wir bei Sick haben unseren Mitarbeitern die Aufgabe gestellt, für ihre Bereiche zu überlegen, was digitale Transformation in Bezug auf die eigene Arbeit bedeutet. Das geht bis hin zum Hausmeister. Aus den Ergebnissen haben wir einen Fahrplan entwickelt, den wir nun in Start-up-Atmosphäre, abgekoppelt vom Tagesgeschäft, weiterentwickeln und umsetzen wollen. Das finde ich sehr befruchtend und beschleunigt die Entwicklung neuer Produkte und Lösungen. Kube (SAP): Hier muss ich etwas einwerfen. Aus meinen Gesprächen mit vielen Unternehmen weiß ich, dass ein solcher Ansatz, wie Sie ihn gerade geschildert haben, Herr Aberle, super funktioniert bis zu dem Punkt, an dem ich die Ideen ins Tagesgeschäft integrieren will. Das Bild das häufig verwendet wird, ist das des Unternehmens als langsamer Tanker. Und daneben setze ich jetzt ein Speedboat ins Wasser, das schnell und wendig ist. Das ist natürlich toll. Doch irgendwann muss das Speedboat auch wieder zurückkehren und Teil des Tankers werden. Die Frage ist also, wie sie diese Innovationen strukturiert in den Tanker integrieren, um ihn agiler zu machen. Und das ist wahnsinnig schwierig. Aberle (Sick): Die Antwort auf diese Herausforderung liegt meiner Meinung nach im Miteinbeziehen der Mitarbeiter. Wir könnten uns natürlich auch ein Start-up kaufen, das diese Themen abarbeitet. Doch dieses in die Organisation zu integrieren, ist schwierig. Deshalb gehen wir diesen internen Weg. Kube (SAP): Ich wollte noch eines zur Ausbildung sagen. Wir schauen oft an die Universitäten und fragen uns, ob die Lehrpläne noch marktgerecht sind. Ich glaube, die Anforderungen verändern sich so schnell, dass die Unis gar nicht hinterher kommen können. Insofern haben Unternehmen wie SAP oder Microsoft an dieser Stelle eine Verpflichtung entsprechend auszubilden. Daher möchte ich gerne kurz auf openSAP hinweisen, eine Ausbildungs- O+P Fluidtechnik 1-2/2019 25

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