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O+P Fluidtechnik 1-2/2020

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O+P Fluidtechnik 1-2/2020

DICHTUNGSTECHNIK TITEL

DICHTUNGSTECHNIK TITEL 04 Querschnitt durch eine geschädigte Hydraulikdichtung: Der Schadensmechanismus der „mikroskopischen“ explosiven Dekompression verursachte kleinere Risse (100-fache Vergrößerung) im Inneren der Dichtung 2.2 SCHÄDIGUNGSMECHANISMEN DURCH LUFT IN DER DRUCKFLÜSSIGKEIT Es muss zwischen Schadensmechanismen unterschieden werden, die direkt und die indirekt, d. h. als Folgeschaden durch Luft in Öl ausgelöst werden. Die direkten Schadensmechanismen sind der Dieseleffekt, die Luftblasenerosion und die Kavitation. Indirekt bzw. ein Folgeschaden durch Luft im Öl ist die Explosive Dekompression. 2.2.1 EXPLOSIVE DEKOMPRESSION 4 FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG 05 06 Schadensbild Luft im Hydrauliköl, die Schädigung findet sich im Gegensatz zur Spaltextrusion auf der Druckseite Blasen an der Oberfläche und Risse in Umfangsichtung durch „makroskopische“ explosive Dekompression Vergrößerung: X50,0 Neigungswinkel: 0 Grad 0,50mm HFC-Druckflüssigkeiten sind Lösungen von Polymeren in Wasser (z. B. Polyglykol) und HFD-Flüssigkeiten sind synthetisch hergestellte, wasserfreie Lösungen. Biologisch abbaubare Druckflüssigkeiten sind oft auf der Basis von Rapsöl bzw. daraus gewonnene Ölsäureester (HETG). Ferner gibt es noch Polyalkylenglykole (HEPG), synthetische Ester (HEES) und HEPR-ÖLE (oft auf Polyalphaolefinbasis). Die Explosive Dekompression ist verwandt mit den oben genannten Schadensmechanismen (wird ausgelöst durch Druckwechsel und Gase), aber das problematische Gas ist hier in der Dichtung eingeschlossen, es kommt also nur in geringsten Mengen vor und es liegt sozusagen eine „mikroskopische“ explosive Dekompression vor (Bild 02 bis 04). Bei ihr werden durch das schnelle Entweichen der Luft v. a. die äußeren Bereiche der Dichtung geschädigt. Bei diesem Schadensmechanismus haben wir es mit einem Zweiphasensystem aus Öl und Luft zu tun. Damit grenzt sich diese Art der explosiven Dekompression klar von der „makroskopischen“ explosiven Dekompression ab, welche aus einer Gasphase (auch andere Gase / Gasgemische als Luft können der Auslöser sein) heraus entsteht (Bild 05 und 06). Die „makroskopische“ explosive Dekompression aus einer Gasphase heraus wird deswegen auch als eigenständiger Schadensmechanismus geführt, soll aber hier der Vollständigkeit halber und auf Grund ihres häufigen Auftretens kurz erwähnt werden. Sie tritt auf, wenn eine Dichtung mindestens zwei bis vier Stunden unter hohem Gasdruck (>30bar) stand. Das Gas diffundiert unter diesen Bedingungen in die Dichtung ein. Bei schlagartiger Druckentlastung kann das eindiffundierte Gas nicht schnell genug entweichen, so dass es zu Rissen oder aufgeplatzten Bläschen auf der Dichtungsoberfläche kommen kann. Die explosive Dekompression kann also nicht nur durch Luft, sondern auch durch andere Gase ausgelöst werden. Von den vier Schadensmechanismen durch „Luft im Öl“ tritt die „mikroskopische“ explosive Dekompression am häufigsten auf. 2.2.2 DIESELEFFEKT Der am zweithäufigsten auftretende Schaden ist der sogenannte Dieseleffekt. Werden Luftblasen im Öl durch plötzlichen sehr hohen Druck komprimiert, kommt es zu kleinen lokalen Selbstentzündungen bzw. Mikroexplosionen des Luft-, Dampfgemisches in den Blasen, ähnlich dem Geschehen in einem Dieselmotor. Jedoch ist die Verbrennung unvollständig, da in den kleinen Luftblasen zu wenig Sauerstoff zur Verfügung steht. Tritt der Dieseleffekt auf, lässt sich dies durch schwarzes Hydrauliköl (Rußpartikel) und mitunter extremen Schäden an Druckzylindern und Dichtungen erkennen (Bild 07 und 08). Die Selbstentzündungstemperatur ist von der Zusammensetzung der Hydraulikflüssigkeit abhängig und liegt zwischen 300 und 400 °C. Diese Temperaturen können nur erreicht werden, wenn die Temperatur in den Bläschen nicht zu schnell in die Hydraulikflüssigkeit abgeführt wird. Außerdem wird die Selbstentzündung auch vom Druck und der Druckänderungsgeschwindigkeit beeinflusst. Lipphardt fand in seinen Untersuchungen, dass der Druck mindestens um 110 000 bar/s ansteigen muss, dass es zu einer Selbstentzündung einer Blase in einem mineralischen Öl kommt. Diese Druckanstiegsgeschwindigkeit gilt für große Blasen mit einem Volumen von ca. 180 mm³. Verkleinern sich die Blasen werden höhere Geschwindigkeiten notwendig. 5 Der Dieseleffekt „tritt besonders in Zylindern auf, die unter Lastwechsel bewegt werden. (…) Im Moment der Zündung ergibt sich im Zylinder ein örtlicher Druckanstieg, der über das fünf- bis sechsfache des Betriebsdrucks ansteigen kann. Dabei können sich auch 34 O+P Fluidtechnik 1-2/2020

DICHTUNGSTECHNIK Metallteile wie unter einem Schmiedehammer verformen.“ 6 Durch den Dieseleffekt zeigt die geschädigte Dichtung im Extremfall Spuren von Verbrennung. „Bedingung für eine Dichtungsverbrennung sind jedoch häufig aufeinanderfolgende Entzündungen am selben Ort, gewissermaßen ein stationärer Entzündungsprozess.“ 7 2.2.3 LUFTBLASENEROSION Werden als Druckflüssigkeit Öle verwendet, ist es – im Gegensatz zu Systemen mit wässrigen Druckflüssigkeiten – möglich und üblich, mit gewissen Dichtspalten zu arbeiten. Komprimierte Luftbläschen können durch Kolbenbewegung in den Dichtspalt geraten. Gelingt es ihnen die druckabgewandte Seite zu erreichen, kommt es zu einer schnellen Expansion der komprimierten Luft, verbunden mit einer hohen Energiefreisetzung. „Dabei werden auch Flüssigkeitsteilchen aus dem Spalt geschossen, mit der Folge, daß nicht nur die Dichtungen (…), sondern auch die dazugehörenden Führungselemente die gleichen Oberflächenverletzungen aufweisen.“ 8 Mit Hilfe dieser Oberflächenverletzungen kann es nun zu dem Folgeschaden einer Strömungserosion kommen. Durch die hohen Drücke und schnellen Bewegungen werden die Riefen, sowohl auf dem metallenen Kolben als auch auf der Dichtung immer mehr ausgewaschen und es kommt zur Leckage. 2.2.4 KAVITATION Das Phänomen der Kavitation wird auch manchmal als Hohlraumbildung bezeichnet. Unter ihr „versteht man die Bildung von Blasen und deren Oszillation unter Einfluss hochfrequenter Druck- bzw. Dichteschwankungen in Flüssigkeiten.“ 9 Es gibt zwei Arten von Kavitation und unzählige Mischformen dieser beiden Arten. „Bei der „Dampfkavitation“ (harte/ transiente Kavitation) implodieren die Blasen bereits nach wenigen Oszillationen unter punktueller Freisetzung hoher Energieintensitäten. Bei der weichen (stabilen) Kavitation [verursacht] das in vielen Oszillationszyklen in die Blase eindiffundierende Gas den Kollaps.“ 10 In der Ölhydraulik tritt die sogenannte Dampf- oder harte Kavitation auf Grund des niedrigen Dampfdruckes von Öl nicht auf. Dampfkavitation kann nur bei den wasserhaltigen und schwer entflammbaren HF-A und HF-B Druckflüssigkeiten vorkommen, die aber selten eingesetzt werden. Zur besseren Abgrenzung der harten und weichen Kavitation, soll an dieser Stelle der Mechanismus der harten Dampfkavitation kurz erläutert werden: Unter Normaldruck siedet und verdampft Wasser bei 100 °C. Sinkt nun der Umgebungsdruck, z. B. im Hochgebirge, so siedet Wasser bereits bei niedrigeren Temperaturen (auf 3 000 m NN bei ca. 90 °C). Wird der Umgebungsdruck noch weiter gesenkt, kann Wasser auch bei deutlich niedrigeren Temperaturen, z. B. Raumtemperatur bereits verdampfen. Durch den Verdampfungsvorgang werden im Wasser Blasen gebildet, die mehr Volumen als Wasser in flüssiger Form einnehmen. „Sofern der Wasserdruck wieder ansteigt, hört der Verdampfungsvorgang wieder auf, der in der Kavitationsblase entstandene Wasserdampf kondensiert an der Außenwand der Dampfblase, und die bereits gebildeten Dampfblasen fallen schlagartig in sich zusammen. Der vorher benötigte Raum wird schlagartig kleiner, das Wasser muss diesen Raum wieder ausfüllen und strömt implosionsartig zurück, wodurch im Wasser sehr starke – wenn auch kurzzeitige – Druckstöße entstehen.“ 11 Diese Druckstöße können eine sehr zerstörerische Kraft ausüben, die mithilfe von Mikrojets (Flüssigkeitsstrahl, der bei der Implosion der Blase in der Nähe von Wänden durch den Blasenzerfall entsteht) Vertiefungen und kleine Krater in metallischen Werkstoffen hinterlassen können. Durch eine Saugwirkung kann z. B. der Druck von Wasser unterhalb des Dampfdruckes absinken. Dies ermöglicht die Entstehung von Dampfblasen. Kommen diese Dampfblasen wieder in einen Bereich mit höherem Druck, findet Kavitation statt. Diese unterschiedlichen Druckbereiche können bspw. durch Ultraschall für einen kavitationsunterstützten Reinigungsvorgang oder beim Durchströmen unterschiedlicher Querschnitte ausgelöst werden. Kommt es in wässrigen Umgebungen zu einer harten Kavitation, ist für polymere Werkstoffe wie Dichtungen nicht nur der physikalische Angriff zerstörend, sondern durch die extrem schnelle Druckund Temperaturzunahme während des Kavitationsvorganges „führt die sonolytische Spaltung von H 2 O zur Bildung von H* und OH* Radikalen, die zu einer Reihe von Folgereaktionen, u.a. der Bildung von H 2 O 2 führen. Die OH*-Radikale haben letztlich transienten Charakter, führen aber in der unmittelbaren Umgebung der Blasen zu einer Reihe signifikanter chemischer (…) Wirkungen, [wie] z. B. [der] Synthese/Degradation von Polymeren.“ 12 Häufiger wird die harte Kavitation durch Axial- und Radialschwingungen von Kolbenstangen ausgelöst. Im Dichtspalt können sich dann Schäden durch eine Kavitation bemerkbar machen. 13 Durch diese Schwingungen kann ein lokaler Unterdruck entstehen, jedoch nur in einer wässrigen Phase. Radialschwingungen führen zu einer zyklischen Veränderung der Kontaktbreite b (Bild 01). Bei der Verringerung entsteht ein Unterdruck, der im erhitzten Kühlwasser zu Dampfblasenbildungen führen kann, bei der anschließenden Verlängerung der Kontaktbreite b fallen die Dampfbläschen wieder in sich zusammen und können zu Materialausbrüchen im Nutgrund und/oder am O-Ring führen. Häufiger tritt die weiche oder auch stabile Kavitation in der Hydraulik auf. Der erfahrene Schadensanalytiker Prof. Klaus Schrader aus Zwickau deutete bereits Anfang der 1980er Jahre den Dieseleffekt als eine Sonderform der Kavitation: „Mit der Strömungserosi- 07 08 Verbrennungen und Formänderung durch den Dieseleffekt an einer statisch eingesetzten Polyurethandichtung Deutlich erkennbarer Dieseleffekt an einer dynamisch eingesetzten Polyurethandichtung O+P Fluidtechnik 1-2/2020 35

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