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O+P Fluidtechnik 3/2018

O+P Fluidtechnik 3/2018

FORSCHUNG UND

FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG STEUERUNGEN UND REGELUNGEN SYSTEMSTRUKTUREN MIT GETRENNTEN STEUERKANTEN André Sitte, Jürgen Weber Aufgrund der steigenden Nachfrage nach leistungsfähigen Antriebssystemen für mobilund stationär-hydraulische Applikationen treten Systeme mit getrennten Steuerkanten dank ihrer energetischen und funktionalen Potenziale vermehrt in den Fokus von Forschung und Entwicklung. Die enorme Varianten- und Strukturvielfalt erschwert jedoch die Auswahl und Einordnung solcher Technologien. Daher wird in der folgenden Artikelreihe eine Serie an Beiträgen geliefert, welche eine intensive Auseinandersetzung und Lösungsvorschläge für verschiedene Fragestellungen ventilgesteuerter, hydraulischer Antriebstechnik beinhaltet. Der vorliegende Beitrag liefert eine Übersicht über verschiedene Systemvarianten und Gestaltungsaspekte. Im darauf folgenden Beitrag wird eine Methodik vorgestellt, die komplexe mehrkanalige Antriebsstrukturen für sicherheitsbezogene Betrachtungen und Auslegungen zugänglich macht. Mit Hilfe mathematischer und simulativer Untersuchungen wird anhand von zwei Applikationsbeispielen die Tauglichkeit der Verfahrensweise demonstriert. In den letzten beiden Beiträgen werden ganzheitliche Steuerungs- und Regelungsverfahren zur störungsarmen Umschaltung zwischen unterschiedlichen Betriebsmodi erarbeitet und für mobile und stationäre Applikationen implementiert und erprobt. 40 O+P Fluidtechnik 3/2018

STEUERUNGEN UND REGELUNGEN 1. EINLEITUNG In mobilen Arbeitsmaschinen versorgen je nach Maschinengröße und -typ eine oder mehrere Pumpen zahlreiche parallel betriebene Antriebe mit hydraulischer Energie. Ein zentraler Steuerblock bestehend aus je einer Ventilsektion pro Aktuator verteilt die von den Pumpen geförderte Ölmenge gemäß einer Bedieneranforderung auf die einzelnen Verbraucher. Äußere Prozesslasten beeinflussen sowohl die Fördermenge der Pumpe(n) entsprechend der verfügbaren Motorleistung, als auch den Volumenstrom durch die Ventilsektion zum Verbraucher. Zur Bewegungssteuerung finden in der Regel Mehrwege-Proportionalventile Anwendung, welche in einer offenen Steuerkette, d. h. ohne Rückführgrößen, betrieben werden [1, 2]. Die eingesetzten Ventilsektionen im zentralen Steuerblock sind anwendungsspezifisch für eine Volumenstrom- und Lastanforderungen ausgelegt und üblicherweise als Schieberventil ausgeführt. Nuten im Schieber ermöglichen eine sehr gute Steuerbarkeit bei geringen Schieberwegen (Feinsteuerbereich). In jedem Schieberdesign ist eine spezifische Widerstands-Durchfluss-Charakteristik fest hinterlegt (Bild 01), welche nur durch Einsetzen eines neuen Schiebers geändert werden kann. Darüber hinaus bestehen bei der Schieber-Buchse-Paarung hohe Anforderungen an die Fertigungstoleranzen, um eine geringe Leckage und Reibung sicherzustellen. Dadurch steigen sowohl Aufwand als auch Kosten bei der Herstellung, Anpassung und im Service. Die meisten Arbeitsaufgaben erfordern eine Bewegungsrealisierung in mehreren Quadranten des Geschwindigkeit-Kraft- bzw. Drehzahl-Drehmoment-Diagramms. Haben beide Größen dieselbe Wirkrichtung spricht man von generatorischen / ziehenden Lasten. Diese müssen bei ventilgesteuerten Antrieben über die Rücklaufkante sicher abgestützt werden, um die Sollvorgaben einzuhalten. Gleichzeitig verhindern unnötige Rücklauf-Druckverluste einen energieeffizienten Betrieb beim Bewegen motorischer / drückender Lasten. Konventionelle Schieber mit mechanisch gekoppelter Zuund Ablaufseite bilden hier immer einen Kompromiss zwischen Beherrschbarkeit ziehender Lasten, der Vermeidung von Kavitation durch ziehende Lasten und der Energieeffizienz. Die zunehmende Elektronifizierung der Maschinen führt bisher nur teilweise zu einer Verlagerung der Steuerungsaufgaben zur Software. Grundlegende Ansteuerungsfunktionalitäten, wie pumpenseitige Leistungsregelung, Druck-Förderstrom-Regelung und Lastkompensation bleiben meist hydraulisch-mechanisch umgesetzt und sind damit strukturell weniger flexibel bezüglich der Anpassung an wechselnde Einsatz- und Betriebssituationen [3]. Die Möglichkeiten, welche sich durch die Trennung konventioneller Ventile in einzelne Steuerelemente bieten, sind vielfältig und schon seit Beginn der 1970er Jahre bekannt. Jedoch lassen erst die jüngeren Entwicklungen und Trends eine potenzielle Marktverbreitung erkennen [4]. Bereits in [5] wird formuliert, dass die Auftrennung der Widerstände eines 4/3-Wegeventils zu Einzelwiderständen, welche nicht mehr zwangläufig und synchron geschaltet werden, mit Blick auf Energieeffizienz, Flexibilität, Struktur- und Komponentenkomplexität sowie Kosten vorteilhaft erscheint. Im folgenden Abschnitt sollen die Ziele und Potenziale getrennter Steuerkanten dargestellt werden. 2. ZIELE VON SYSTEMEN MIT GETRENNTEN STEUERKANTEN Die Energieeffizienz rückt bei der Entwicklung von Hydrauliksystemen zunehmend in den Fokus. Der offensichtliche und primäre Mechanismus von Systemen mit getrennten Steuerkanten besteht in der individuellen Steuerung der Zu- und Ablaufwiderstände. Dadurch sind die mechanische Zwangskopplung zwischen den Steuerkanten und damit auch der starre Volumenstrom-Druck- Zusammenhang aufgelöst. Ein solches last- und geschwindigkeitsadaptives Ventil ist in der Lage betriebspunktabhängige Druckverluste im System zu reduzieren [6, 7]. Den weitaus größeren Anteil am energieeffizienten Betrieb solcher Systeme bietet allerdings die Möglichkeit, die Strömungspfade frei zu definieren und somit Volumenstrom wiederzuverwenden, also zu regenerieren. Durch den Einsatz von verbraucher-interner und -übergreifender Regeneration können generatorisch wirkende Lasten nutzbar gemacht und die hydraulisch zugeführte Primärleistung der Pumpe reduziert werden. Eine Ausrüstung mit entsprechenden Zusatzkomponenten (Hydromotoren, Speicher) ermöglicht auch Rekuperationsmodi, also Rückgewinnung und Zwischenspeicherung von Energie [8]. Durch getrennte Betätigung von Zu- und Ablauf besitzen Systeme mit getrennten Steuerkanten mehr als einen Stelleingriff zur Zylindersteuerung. Neben der Verbrauchergeschwindigkeit kann eine weitere Zustandsgröße wie z. B. das Druckniveau gleichzeitig vorgegeben werden. Durch den erweiterten regelungstechnischen 01 Widerstandsdarstellung eines 4/3-Wegeventils (links), schematische Darstellung (rechts) R A1 R E1/2 R A2 R y A1 R E1 R E2 R A2 S y S p T p 0 p T p T p 0 p T O+P Fluidtechnik 3/2018 41

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