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O+P Fluidtechnik 3/2025

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O+P Fluidtechnik 3/2025

WASSERSTOFFVERSPRÖDUNGNORMIERUNG FÜRVERBINDUNGSTECHNIKWernerHannigPRODUKTE UND ANWENDUNGENDer erfolgreiche Einsatz vonWasserstofftechnologien brauchtMessmethoden und Bewertungskriterienfür Materialien sowie internationaleNormen und Standards. Das hat auchdas Bundeswirtschaftsministeriumerkannt und eine „NormungsroadmapWasserstofftechnologien“ in Auftraggegeben. Deren Analyse: Das bestehendetechnische Regelwerk muss teilweise für dieNutzung von Wasserstoff überarbeitet undidentifizierte Lücken geschlossen werden.Werner Hanning, Leiter Qualität und Entwicklung,Schoeller Werk GmbH & Co. KGWie bewerten Sie als stahlverarbeitendes Unternehmen denStatus Quo bei der H 2-Normung?Hannig: Beim industriellen Hochlauf von H 2-Technologien befindenwir uns noch im Projektstatus. Das betrifft insbesonderedie Normung. Dabei ist diese speziell für uns wichtig, schließlichkommen unsere Produkte bei allen mobilen, stationären undindustriellen H 2-Anwendungen zum Einsatz. Ohne Standardsfunktioniert das Zusammenspiel der Liefer- und Wertschöpfungskettenicht reibungslos und alle Beteiligten bewegen sichin einem Graubereich, vor allem hinsichtlich Kompatibilität,Werkstoffqualität und Haftung.Warum braucht es für den Einsatz von Wasserstoff neueVorgaben?Hannig: Das liegt an den spezifischen Eigenschaften vonWasserstoff. Als kleinstes Atom kann sich Wasserstoff in denZwischengitterplätzen der Kristallstruktur von Stahl bewegen.Stahl besteht typischerweise aus einem kubisch-raumzentrierten(Ferrit) oder kubisch-flächenzentrierten (Austenit) Gitter.Gitterstrukturen haben Hohlräume, die es H 2-Atomen ermöglichen,sich durch den Stahl zu bewegen bzw. zu diffundieren. Inder Folge kommt es zu Wasserstoffeinlagerungen im Gitter oderin Gefügefehlstellen. Man spricht hier von „Wasserstoffversprödung“,die die mechanischen Eigenschaften des Metalls verän-24 O+P Fluidtechnik 2025/03 www.oup-fluidtechnik.de

VERBINDUNGSTECHNIKdern und eine Reduzierung der Duktilität, also der Zähigkeit desStahls, verursachen kann. Hieraus resultieren Schädigungen wieBlasen- oder Porenbildung sowie Bauteilversagen durch Risseoder Brüche bei statischen oder dynamischen Belastungen.Wenn man bedenkt, dass der Standarddruck von Wasserstofftanksin Brennstoffzellenautos 700 bar beträgt, wird dieProblematik schnell plausibel.Welche Arten von Edelstahl gibt es, und wie reagieren sie aufVersprödung?Hannig: Die Gefügestrukturen Delta-Ferrit und a‘-Martensitnehmen bei einer Beaufschlagung verstärkt Wasserstoff auf. Derdiffusibele Wasserstoff reichert sich im Gefüge an und führt zueiner Reduzierung der werkstoffspezifischen Duktilität und beiBelastung zu vorzeitigem Versagen. Ferritische NR-Stähle, z. B.1.4510, 1.4512 und 1.4521, bestehen zu 100% aus einer Ferrit-Phase, über die sehr schnell Wasserstoff-Atome aufgenommenGRUNDSÄTZLICH BEEINFLUSSENLEGIERUNGSELEMENTE DIEVERSPRÖDUNGwerden. Das führt zu einer ausgeprägten Sprödbruchneigungunter statischer oder dynamischer Belastung. Gleiches gilt fürmartensitische NR-Stähle und etwas abgeschwächt auch fürNR-Stähle mit Duplex-Gefüge. In allen Fällen ist eine hohe bissehr hohe Aufnahme zu beobachten. Höherlegierte, austenitischeNR-Stähle. z. B. 1.4401, 1.4404 oder 1.4435, haben dagegeneinen sehr niedrigen Delta-Ferrit-Gehalt und zeigen deswegeneine geringe Wasserstoffaufnahme und somit eine nur geringfügigreduzierte Duktilität. Durch Kaltumformung entsteht aberauch bei austenitischen NR-Stählen eine verspannte Gitterstruktur,die Martensit genannt wird. Dieser Gittertyp zeigt eine verstärkteWasserstoffaufnahme, die ebenfalls zur Reduzierung derZähigkeit führt.Welche Rolle spielen Legierungen bei derWasserstoffversprödung?Hannig: Grundsätzlich beeinflussen Legierungselemente dieDiffusion und damit die Versprödung, indem sie die Gitterstrukturverändern oder Wasserstofffallen erzeugen: Austenit stabilisierendeLegierungsbestandteile wie Nickel reduzieren denDelta-Ferrit-Anteil und somit die Wasserstoffaufnahme unddamit die Versprödungsanfälligkeit. Ferrit stabilisierende Bestandteilewie Chrom, Mo oder Ti erhöhen hingegen die Anfälligkeitgegenüber einer Wasserstoffaufnahme.Welche Faktoren beeinflussen davon abgesehen den Grad derWasserstoffversprödung?Hannig: Neben der Mikrostruktur des Stahls beschleunigenDruck und Belastung die Wasserstoffaufnahme. Gleiches gilt fürhohe Temperaturen und hohe Wasserstoffkonzentration:Beides führt zu einem stärkeren Diffusionsstrom ins Material.Die „Normungsroadmap“ erwähnt mehrere Regelwerke, die eszu überarbeiten gilt. Gibt es Beispiele, an denen sich Ihre Brancheübergangsweise orientieren kann?Wasserstoffbedingter Schaden an einem ultrahochfesten Stahlwerkstoffmit spröden und duktilen BruchanteilenHannig: In dem für Schoeller relevanten Bereich der Edelstahlverarbeitunggibt es zurzeit nur eine US-Norm aus dem Bereichder Mobilität, die zwei Kriterien beim Einsatz von Edelstahl klardefiniert und Vorgaben zu den bei Wasserstoffanwendungenbenötigten Gefügestrukturen macht. Bei dem Standard (SAEJ2579) handelt sich um ein Regelwerk, das durch die globaleVereinigung Society of Automotive Engineers aufgesetzt wurdeund sich auf den „Standard for Systems in Fuel Cell and otherHydrogen Vehicels“ konzentriert. Die maßgeblichen Kriteriensind spezifische Gefügestrukturen (Delta-Ferrit und a‘-Martensit),die in austenitischen NR-Stählen vorliegen bzw. auftretenkönnen.Mit welchen Prüfverfahren ermitteln Sie die Versprödungsanfälligkeiteinzelner Werkstoffe?Hannig: Wir nutzen mechanische oder technologische Werkstoffprüfungen,um eine reduzierte Duktilität und damit eineVerringerung der werkstoffspezifischen Gleichmaß- und Bruchdehnungnachzuweisen.Besitzt Schoeller mit seinem Know-how in der Stahlverarbeitungbeim Thema Wasserstoff einen „USP“ im Bereich derWasserstoffanwendungen?Hannig: Ja. Unser USP sind unser langjährig aufgebautes Expertenwissensowie die in den letzten Jahren getätigten Investitionenin unsere Fertigungs- und Prüftechnologie. Bei Schoellerverfügen wir über eine Auswahl an geeigneten Prozessen undTechnologien zur Herstellung von wasserstoffgeeigneten Halbzeugen.Wir können je nach Produktapplikation nicht nur aufdie Schmelzschweißtechnologien WIG und Laser zurückgreifen,sondern sind durch Nutzung unterschiedlicher Wärmebehandlungsverfahrenauch in der Lage, über anwendungsspezifischeTemperaturführung sowie Haltezeitenanpassung ausgewählteGefügestrukturen einzustellen.Bilder: Schoeller Werk, Kroben – wikipediawww.schoellerwerk.dewww.oup-fluidtechnik.de O+P Fluidtechnik 2025/03 25

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