Aufrufe
vor 4 Jahren

O+P Fluidtechnik 5/2019

O+P Fluidtechnik 5/2019

VERBINDUNGSELEMENTE

VERBINDUNGSELEMENTE FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG PEER REVIEWED 06 Beispielhafte Frequenzgänge der effektiven Schallgeschwindigkeit für verschiedene Werkstoffe mit viskoelastischem Materialverhalten lere Term als zur zeitlichen Ableitung des Drucks proportional dargestellt werden kann. Dazu wird die erweiterte Kontinuitätsgleichung zunächst in den Laplace-Bereich transformiert. 2.6 EFFEKTIVE SCHALLGESCHWINDIGKEIT BEI VISKOELASTISCHEM MATERIALVERHALTEN Mit den komplexen Dehnraten aus Gl. 15 ergibt sich die Laplace-Transformierte der erweiterten Kontinuitätsgleichung zu folgendem Ausdruck: Das Produkt sp* entspricht der Laplace-Transformierten der Druckableitung ∂p/∂t. Wie im ersten Abschnitt der Arbeit gezeigt wurde, entspricht die Summe der Vorfaktoren der zeitlichen Druckableitung dem Kehrwert des effektiven Kompressionsmoduls K*(s) bei viskoelastischem Materialverhalten: Die – aufgrund der Eigenschaften des komplexen Elastizitätsmoduls – ebenfalls komplexe und frequenzabhängige effektive Schallgeschwindigkeit bei viskoelastischem Materialverhalten ergibt sich damit zu: Formal entspricht die obige Gleichung der im ersten Teil der Arbeit für linear-elastisches Materialverhalten angegebenen Beziehung, was als Beleg für die Gültigkeit des sogenannten viskoelastischen Korrespondenzprinzips angesehen werden kann. Das viskoelastische Korrespondenzprinzip postuliert, dass eine bereits bekannte statische Lösung für ein elastisches Problem auch für dynamische Vorgänge und viskoelastisches Materialverhalten verwendet werden kann, wenn die elastischen Werkstoffkonstanten durch ihre komplexen Entsprechungen ersetzt werden. Für die folgenden beispielhaften Berechnungen wird der Einfachheit halber mit der Volumenänderungsfunktion für µ = 0,5 gerechnet, da in diesem Fall die Abhängigkeit von den Lagerungsbedingungen der Leitung entfällt [1]: Geht man von den in Bild 01 dargestellten Verläufen des komplexen Elastizitätsmoduls (Zener-Körper vom Kelvin-Voigt-Typ) aus, so ergeben sich für ein Fluid mit einem isentropen Kompressionsmodul K s ≈ 20 000 bar und einer Dichte ρ ≈ 870 kg/m³ (z. B. HLP 46) die folgenden Frequenzgänge der effektiven Schallgeschwindigkeit. Wie erwartet hängt die Schallgeschwindigkeit beim reinen Fluid und bei der Leitung mit linear-elastischem Werkstoffverhalten (hier wurde beispielhaft Aluminium gewählt) nicht von der Frequenz ab. Im Vergleich dazu zeigt sich bei den Leitungen aus Polyamid (PA) bzw. Fluorkautschuk (FKM) eine – entsprechend der Frequenzveränderlichkeit des komplexen Elastizitätsmoduls – mehr oder weniger ausgeprägte Frequenzabhängigkeit der effektiven Schallgeschwindigkeit. Die sich daraus ergebenden Folgen für das Übertragungsverhalten von aus diesen Werkstoffen gefertigten Leitungen werden im folgenden Abschnitt diskutiert. 3 KONSEQUENZEN FÜR DAS ÜBERTRAGUNGS­ VERHALTEN VISKOELASTISCHER LEITUNGEN Da die Schallgeschwindigkeit eine frequenzdisperse Größe darstellt, werden Druck- und Volumenstrompulsationen unterschiedlicher Frequenz mit verschiedenen Geschwindigkeiten durch die viskoelastische Leitung transportiert. Die aus dieser Tatsache resultierenden Phänomene werden zuerst im Zeitbereich diskutiert. 3.1 ÜBERTRAGUNGSVERHALTEN VISKO­ ELASTISCHER LEITUNGEN IM ZEITBEREICH Bekanntermaßen kann nach FOURIER jede periodische Funktion in eine Summe von Sinus- und Kosinusfunktionen zerlegt werden. Beispielsweise lässt sich ein periodischer, rechteckförmiger Druckpuls der Höhe p 0 und der Kreisfrequenz ω durch eine Summe von Sinuswellen darstellen [5]: Die einzelnen Sinuswellen können nun isoliert untersucht werden. Bei einer Hydraulikleitung mit linear-elastischem Materialverhalten breiten sich alle Wellenanteile mit derselben Geschwindigkeit, nämlich der in diesem Falle frequenzinvarianten effektiven Schallgeschwindigkeit a aus. Das ursprüngliche Rechtecksignal wird also – sieht man vom Einfluss der Flüssigkeitsreibung ab – nur in der Zeit verschoben und behält seine ursprüngliche Gestalt bei, siehe Bild 07. Bei Leitungen mit viskoelastischem Materialverhalten zeigt sich dagegen ein gänzlich anderes Verhalten: Da sich infolge der Frequenzabhängigkeit der Schallgeschwindigkeit die einzelnen Wellenanteile verschieden schnell durch das System fortpflanzen, erfahren die Anteile bei gleichem räumlichen Abstand unterschiedliche zeitliche Verschiebungen. Die imaginären Anteile der Wandsteifigkeit, derentwegen die effektive Schallgeschwindigkeit ebenfalls über solche Anteile verfügt, induzieren zusätzlich eine frequenzabhängige viskose Dämpfung der Druck- und Volumenstromwellen (dies gilt auch im Falle einer reibungslosen Flüssigkeit). Die Überlagerung dieser beiden Einzeleffekte führt dazu, dass ein durch das Hydrauliksystem wandernder Puls mit zunehmender „Reisezeit“ immer mehr von seiner ursprünglichen Form abweicht, siehe Bild 08. Am Beispiel der Druckpulsausbreitung kann nur ein Teil der mit viskoelastischem Materialverhalten assoziierten Wellenphänomene demonstriert werden. Die vollständige Charakterisierung des dynamischen Übertragungsverhaltens eines hydraulischen Bauteils erfolgt zweckmäßigerweise im Frequenzbereich. Dazu wird im Folgenden auf das sogenannte Übertragungsmatrizenverfahren zurückgegriffen. 40 O+P Fluidtechnik 5/2019

VERBINDUNGSELEMENTE 3.2 ÜBERTRAGUNGSMATRIZENVERFAHREN Das Übertragungsmatrizenverfahren verallgemeinert das aus der Regelungstechnik bekannte Konzept der Übertragungsfunktionen auf Systeme, bei denen mehr als eine Größe zur Beschreibung des Zustands eines Bilanzquerschnittes nötig ist. Für hydraulische Systeme werden meist die (in den Laplace-Bereich transformierten) Zustandsgrößen Druck p* und Volumenstrom Q* (oder querschnittsgemittelte Strömungsgeschwindigkeit ) verwendet. Die Übertragungsmatrix T, die die Zustände an zwei beliebigen Querschnitten „1“ und „2“ entlang eines hydraulischen Netzwerks mit einander verknüpft, ergibt sich damit zu: 07 Ausbreitung eines idealen Rechteckpulses in einer Leitung mit linear-elastischem Werkstoffverhalten (ohne Flüssigkeitsreibung) Die Übertragungsmatrix einer kreiszylindrischen Rohrleitung (Länge l, durchströmte Querschnittsfläche A) mit linear-elastischem Wandwerkstoffverhalten kann auf theoretischem Wege aus den Erhaltungsgleichungen der Kontinuumsmechanik ermittelt werden. Gemäß dem viskoelastischen Korrespondenzprinzip lassen sich die für diesen Fall gewonnenen Aussagen durch Substitution des Elastizitätsmoduls mit dem komplexen Elastizitätsmodul auf Leitungen mit viskoelastischem Werkstoffverhalten übertragen. Die Einträge der Vierpol-Übertragungsmatrix ergeben sich damit zu [6][7]: 08 Ausbreitung eines idealen Rechteckpulses in einer Leitung mit viskoelastischem Werkstoffverhalten (ohne Flüssigkeitsreibung) 3.3 LEITUNGSRESONANZEN Aus der Übertragungsmatrix einer Leitung lassen sich die Resonanzfrequenzen derselben für die verschiedenen hydraulischen Randbedingungen („offen-offen“, „offen-geschlossen“, „geschlossen-geschlossen“) berechnen. Im Folgenden soll der Fall einer an einem Ende verschlossenen und am anderen Ende offenen Rohrleitung behandelt werden. Wird das Ende „2“ als das geschlossene Ende aufgefasst ( ), so ergibt sich das Verhältnis von Ausgangs- zu Eingangsdruck bei reibungsfreier Strömung zu: 09 Übertragungsfunktionen für Leitungen mit unterschiedlichem Werkstoffverhalten Resonanz liegt in diesem Beispiel genau dann vor, wenn selbst geringe Druckpulse am offenen Ende zu sehr (im reibungsfreien Fall unendlich) hohen Druckpulsen am geschlossenen Ende führen. Dieser Zustand stellt sich ein, wenn der Nennerausdruck cosh(sl/a*) gegen Null, d. h. das Verhältnis gegen unendlich strebt. Für eine frequenzinvariante Schallgeschwindigkeit a, wie sie bei Leitungen mit linear-elastischem Werkstoffverhalten vorliegt, ergeben sich die entsprechenden Resonanzfrequenzen f n zu: Dabei ist . Die Resonanzfrequenzen beim einseitig geschlossenen Rohr mit linear-elastischem Werkstoffverhalten entsprechen also dem Drei-, Fünf-, Sieben- oder Neun-fachen (usw.) der Grundfrequenz f 0 , wie die schwarze Kurve in Bild 09 zeigt. Bei den Leitungen mit viskoelastischem Materialverhalten wird dagegen ein gänzlich anderes Verhalten beobachtet: Da die Schallgeschwindigkeit selbst eine Funktion von der Frequenz ist, stehen die in der Abbildung durch gestrichelte Linien gekennzeichneten Resonanzfrequenzen hier in keinem ganzzahligen Verhältnis zur Grundfrequenz. Die Abweichungen gegenüber der für linearelastisches Materialverhalten zu erwartenden Frequenzlage der Resonanzen wird mit zunehmender Frequenz größer, da der komplexe Elastizitätsmodul des betrachteten Wandwerkstoffs mit der Frequenz zunimmt. Bereits ab der dritten Resonanzfrequenz kann eigentlich nicht mehr von Resonanzen im strengen Sinne gesprochen werden, da die Übertragungsfunktion sogar in den lokalen O+P Fluidtechnik 5/2019 41

© 2023 by Vereinigte Fachverlage GmbH. Alle Rechte vorbehalten.